Türsteher Viktor Hacker

Gewalt gehört dazu - damit muss man leben können.

Türsteher Viktor Hacker
40 Stunden - Taschenkontrolle bei einem Gast

Viktor Hacker ist Türsteher – nicht der bulligste, aber wenn er den Mund aufmacht, verströmt die tiefe Stimme genug Autorität für vier aufgepumpte Bizepse. Ein Gespräch über Intelligenz, das Spiel mit der Macht und betrunkene Prinzessinnen, die Körperflüssigkeiten verteilen und fast sterben.

Wir haben uns jetzt vorab fünf Minuten unterhalten und ich frage mich, ob du nicht zu intelligent bist, um Türsteher zu sein?

Ein Türsteher muss intelligent sein. Das ist übrigens so ähnlich wie bei Fußballspielern. Da wird auch immer völlig unterschätzt, wie intelligent die eigentlich sind.

Ach ja?

Ja klar. Wobei es weniger um eine Bildungsausstrahlung geht, als um Aufnahmefähigkeit. Als Türmann wie auch als Fußballer musst du sehr schnell Situationen einschätzen können. Du musst sehr schnell reagieren und sehr schnell sehr kurz denken. Da kommt jemand auf dich zu und du musst unmittelbar einschätzen, ob du den in den Laden lassen kannst oder nicht.

Das heißt der vermeintlich schlichte Türsteher à la „Ey Alter, du kommst hier nicht rein“ ist eigentlich kurz vor hochbegabt?

Wer als Türmann zu langsam denkt, macht den Job nicht lange. Außerdem musst du in der Lage sein, mit den Gästen in Kommunikation zu treten. Du musst den Gast ansprechen – und da ist der viel zitierte Spruch von eben nicht der klügste. Wenn jemand aus dem Ghetto kommt – ich bin selber in Wilhelmsburg aufgewachsen – und jemand spricht in einem hochelaborierten Code mit dem, dann fühlt der sich herabgesetzt und das führt zu Aggression. Wenn du jemandem eine Brücke bauen willst, dann benutzt du seine Sprache und spiegelst ihn. Das braucht eine gewisse Intelligenz. Hin und wieder triffst du aber auch schon mal auf diese Pöbeltypen. Meistens in Hip-Hop-Läden. Da ist das dann aber Teil des Images und vom Betreiber gewollt. Die Jungs bleiben aber nie lange.

Aber ein Abo für die Muckibude habt ihr schon alle, oder?

Das ist hilfreich, weil man, ähnlich wie Krankenpfleger, unheimlich schwer heben muss. Du glaubst nicht, wie schwer Betrunkene sind.

Was ist deine Aufgabe als Türsteher, außer vor der Tür zu stehen?

Als Türmann bist du der erste und letzte Eindruck, den ein Gast von diesem Etablissement hat. Dein Bewegungsradius reicht von eineinhalb Metern vor dem Laden bis hinein, wo du auch alles im Blick behalten musst und schauen, ob da alles friedlich ist und keiner den anderen zukotzt. Alles innerhalb dieses Radius ist Job. Alles außerhalb ist Spaß. Das heißt, wenn es Streit auf der Straße gibt, dann kümmere ich mich nicht darum. Es sei denn, die kommen zu dicht an den Laden ran. Dann schiebe ich sie entweder weg oder mische mich ein. Aber wenn sich da einfach nur Leute hauen, dann ist mir das egal. Ich kümmere mich nur um meinen Laden.

Was sind die häufigsten Gründe, warum jemand nicht in den Club kommt?

Zu besoffen – andere Substanzen eingeschlossen – oder zu unfreundlich. Und Junggesellenabschiede kommen auch nicht rein. Das ist aber meine persönliche No-Go-Area.

Und die lässt du nicht rein, weil du einfach keinen Bock auf die hast?

Schon, ja. Die kommen meistens schon völlig besoffen an und die verstehen nicht mehr, dass ihr Spaß da aufhört, wo der Spaß der anderen beginnt. Mit solchen Leuten bist du die ganze Zeit nur am Deeskalieren. Und verdienen tust du an denen auch nichts. Man darf nicht vergessen: Gastronomie ist dazu da, Geld zu machen. Das heißt, ich muss auch dafür sorgen, dass die Gäste sich wohl fühlen – also die, die viel Geld ausgeben wollen.

Vertrittst du deine persönlichen Regeln oder die vom Clubchef?

Es sind immer meine Regeln. Ich bin ehemaliger Soldat und ich würde es mal so sagen: Der Chef oder Ladenbetreiber kann die Strategie vorschlagen, aber nicht die Taktik. Alles was auf dem Feld passiert, entscheide ich. Ich will einfach nicht von einem Betreiber hören: „Heute dürfen keine Leute mit grünen Jacken rein“ oder so einen Quatsch. Das lasse ich mir nicht sagen. Ein guter Betreiber weiß, dass er seinen Türleuten vertrauen muss und dass die Türleute für ihn schon das Beste entscheiden werden.

Entsprechend hast du eine gewisse Macht – zumindest mal über Junggesellenabschiede. Ist Macht geil?

Macht darf nicht ohne Logik vorkommen. Das heißt, es muss für jeden klar ersichtlich sein, warum ich eine Entscheidung treffe. Das ist die hohe Kunst der Deeskalation. Das ist mein Ziel.

Ja, aber du entscheidest und andere müssen dir gehorchen. Das bedeutet Macht für mich.

Macht ist notwendig, um vernünftig arbeiten zu können. Aber das Wort gefällt mir eigentlich nicht. Ich würde es durch Autorität ersetzen.

Wie fühlt sich Autorität an?

Verantwortungsvoll.

Nicht überheblich?

Ich weiß nicht. Wenn ich aus Überheblichkeit handeln würde, dann würde ich ja aus sehr persönlichen Gründen an der Tür stehen, weil ich mir etwas davon verspreche. Gesellschaftlichen Status zum Beispiel. Das ist einfach der falsche Ansatz.

Hey, aber wenn du mal einen echt blöden Tag hast und dir kommt einer quer. Geht dir da dann nicht mal einer ab, „nein“ zu sagen?

Letztlich sind wir Menschen alle nicht frei von persönlichen Animositäten. Ja, es gibt so Leute, die ich nicht ausstehen kann.

Wen denn nicht?

Typen im Anzug zwischen dreißig und vierzig, die mit rudernden Armen und pfeifenden Lippen in der Gruppe in den Laden hineinstampfen wollen. Diese Typen, die eine Woge von Selbstverständnis und Selbstsicherheit vor sich her tragen und sich völlig richtig am Platz fühlen und meinen, dass alle auf sie hören müssen. Die haben ein unglaubliches Pseudogelaber drauf und fassen dich auch gerne mal an. Diese Leute scheitern automatisch an mir. Da bin ich dann unfair. Und ja, das ist dann Macht. Aber da stehe ich auch zu.

Seit ich ein Kind war, habe ich totale Angst vor Hunden. Und was mich bis heute mega aufregt, ist, wenn dir dann ein Hundebesitzer sagt: „Der Hund spürt deine Angst. Mach mal die Angst weg, dann macht auch der Hund nichts.“ Ich habe mich gefragt, ob ihr Türsteher wie Hunde seid und die Angst der Menschen spürt?

Diese Vermutung hat sowas Esoterisch-Mystisches. Ich würde sagen, dass wir Körpersprache sehen. Wenn ich an der Tür stehe, dann schaue ich nicht mehr nach einzelnen Menschen, sondern ich versuche alles zu sehen. Ich sehe alles, aber unscharf. Der Kopf geht ständig hin und her. Und so sehe ich eine Menschenmenge wie so einen grau-weißen Nebel. Und dazwischen sind in Orange so aufflackernde Punkte. Das sind Menschen, die sich anders bewegen als der Rest und das kann ganz verschiedene Gründe haben. Mir fallen also erstmal Leute auf, die sich anders bewegen als andere. Entweder sie sind betrunken, oder suchen Streit oder spähen nach Beute – Taschendiebe. Oder sie sind unsicher, haben Angst vor dem „Hund“, weil der sie schon ein paar Mal nicht rein gelassen hat. Wenn so ein Punkt dann näher kommt, dann schaue ich ihn mir genau an und spreche ihn an. Ich versuche eine Brücke zu bauen. Ich plaudere mit den Leuten. Und wenn Leute einfach nur Schiss vor dem Türmann haben, sind sie dann „normal“, weil ihnen die Nervosität genommen wurde. Und dann dürfen sie rein.

40 Stunden - Du kommst hier nicht rein

Ist es dir schon mal passiert, dass du die falsche Person rein gelassen hast?

Klar.

Dann hast du aber Scheiße gebaut, oder?

Ehrlich gesagt ist die Situation gar nicht schlimm, denn letztlich ist sie jobsichernd. Wenn die falsche Person im Laden ist, dann macht sie früher oder später Ärger und es ist Alarm. Und dann gehst du rein, holst sie raus und alle sind froh, dass sie einen Türmann haben. Schlimmer ist es eigentlich, die falsche Person abzuweisen. Wenn du jemanden weg schickst, obwohl er völlig harmlos ist, dann musst du anfangen, deine eigenen Gedanken zu überprüfen. Hatte ich Vorurteile vielleicht gegen eine ethnische Gruppe? War der wirklich komisch? Was genau schien mir verdächtig?

Ist Türsteher ein 40-Stunden-Job?

Nein, meistens ist das ein Nebenjob. Bei mir ist es aber so, dass Türstehen die Konstante in meinem Leben ist. Ich war wie gesagt Soldat, ich habe Tierpfleger gelernt, ich habe eine Schauspielausbildung, ich war PR-Redakteur, ich schreibe für „Heim und Garten“-Themen und ich spreche Imagefilme ein.

Wie wichtig ist Testosteron in dem Job?

Ich glaube Testosteron ist ein Nebenprodukt von sportlicher Betätigung. Ein hoher Testosterongehalt bringt auch eine gewisse Grundaggressivität mit sich. Häufig das, was als Männlichkeit falsch verstanden wird oder zu eindimensional gesehen wird.

Gibt es auch Türsteherinnen?

Ja, nur das Problem ist, dass das häufig Frauen sind, die aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur die letzten sind, die den Job machen sollten. Die sind irgendwie aggressiv und unberechenbar. Häufig sind das so Frauen, die beweisen wollen, dass die genauso gut wie ein Kerl einen weg hauen können. Es heißt sehr oft, dass Frauen deeskalierend auf betrunkene Männer wirken. Das war vielleicht in den sechziger, siebziger Jahren so. Für heute kann ich sagen, dass das nicht stimmt. Betrunkene machen heute keinen Unterschied, ob da eine Frau steht oder ein Kerl. Und dann kriegt die Frau einen ab und da sieht man dann letztlich, dass Frauen doch weniger ab können als trainierte Männer.

Wer ist vor der Tür schlimmer? Männer oder Frauen?

Frauen. Ich will es mal so sagen: Jeder Junge, der in diesem Land und Kulturkreis aufgewachsen ist, ist früher oder später mal beim Bolzen mit einem Schiedsrichter in Kontakt gekommen. Und da haben Jungs gelernt, dass man diskutieren kann, dass es aber nichts nützt. Und so ist es an der Tür auch. Da gibt es eine Entscheidung „Du bist zu besoffen“ und dann bleibt das dabei. Bei Frauen funktioniert das so nicht. Da wird diskutiert und diskutiert. Ich verallgemeinere mal: Wenn ich eine Frau anhalte, weil sie zu besoffen ist, dann sieht sie das erst gar nicht ein. „Ich tu doch nichts“ – „Doch du bist zu betrunken. Es geht nicht nur darum, was du tust, sondern was auch mit dir getan wird.“ Stufe eins: Unglaube. Als zweites: Sie versuchen einfach rein zu gehen. Da halte ich sie natürlich auf. Dann kommt Stufe drei: Prinzessinen klappern mit den Augen und versuchen, mich zu bezierzen. Wenn das auch nicht hilft, kommt Aggression. Sie schreien, greifen dich an. Dann hört der Spaß auf.

Was war das Schlimmste, was dir eine Frau an der Tür „angetan“ hat.

Einmal hat mir eine ins Gesicht gespuckt. Einen Kerl hätte ich getötet.

Und sie?

Das kann ich ja bei einem Mädel, das die Hälfte von mir wiegt, nicht machen. Ich habe sie in einen schmerzhaften Griff genommen und habe sie raus befördert und da kam zum Glück direkt eine Polizeistreife vorbei.

Und ein Kerl hätte sich welche gefangen?

Auf jeden Fall. Da hätte ich meine Contenance verloren. Es ist normal, dass du hier und da einen abkriegst. Du musst halt rein und da gehört Gewalt auch dazu. Damit muss man leben können. Und es geht gar nicht so sehr um eigene Gewalt, sondern viel mehr um das Empfangen von Gewalt. Die Fähigkeit, hinzunehmen, dass man jetzt einen Ellbogen abkriegt. Aber wenn dir jemand ins Gesicht spuckt, dann tritt er deine gesamte Persönlichkeit mit Füßen. Da wirst du als Mensch herabgesetzt unter jeden Stein. Derjenige hat dann bei mir eine Kampfansage gemacht.

Ist das rechtlich ok, dann drauf zu schlagen?

Natürlich haben wir hier dieselben Gesetze und Rechte, wie alle anderen sonst auch. Es geht um Notwehr und Verhältnismäßigkeit. Mein Opa hat immer gesagt: „Wenn jemand Streit anfängt und du wehrst dich nur: Derjenige der zum Schluss noch steht, hat verloren, wenn die Staatsgewalt einschreitet. Es ist völlig egal, was der andere vorher gemacht hat. Der, der steht, ist der Böse.

Welche Uhrzeit ist die Schlimmste.

Zwischen vier und fünf Uhr. Da sind alle bekloppt.

Was lehrt dich dein Beruf?

Unglaubliche Geduld mit den Mitmenschen zu haben.

Und was bedeutet Erfolg?

Wenn mir und keinem sonst etwas passiert. Und wenn du nicht nach Feierabend zu den Bullen musst, um eine Aussage zu machen. Auch unbeteiligt.

Zum Schluss: DER ultimative Trick, um an dir vorbei zu kommen.

Wenn man so tut als ob man in dem Laden arbeiten würde. Es gibt so ein paar Jobs, die wechseln ständig. Da kann ich mir die ganzen Gesichter nicht merken. Dafür bin ich dann zu blöd.

Kontakt zu Viktor Hacker: www.viktorhacker.de

Text: Julia Kottkamp
Fotos: Romy Geßner

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Julia Kottkamp Gründerin und Autorin Julia Kottkamp

Julia hat Journalistik studiert und arbeitet freiberuflich als Kommunikationsberaterin und Sparringspartner in Organisationsentwicklungsprozessen. In ihrer Arbeit geht es immer um das Gespräch mit Menschen. Zuhören, verstehen und daraus Kommunikation für Klarheit entwickeln.

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Romy Geßner Fotografie Romy Geßner

Romy ist freiberufliche Fotografin und Diplom-Übersetzerin. Ihre große Leidenschaft sind Bilder von Menschen in ihrer Arbeitsumgebung. Sie steht für authentische Portrait- und Businessfotografie und sie liebt Reportagen.

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2 Kommentare

  1. Ich freue mich über jedes eurer Interviews, bitte weiter so!

    1. Dankeschön!

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