Gründerin und Autorin Julia Kottkamp

Es berührt mich, wenn sich andere von meinen Fragen berühren lassen.

Gründerin und Autorin Julia Kottkamp
Portrait Journalistin Julia Kottkamp

Julia Kottkamp arbeitet als Coach für die berufliche Positionierung und Storytellerin in Hamburg. Sie hat ein großes Faible für Menschen und ihre ganz individuellen Geschichten und Lebenswege. Diese sichtbar zu machen, ist ihre große Leidenschaft. Im Jahr 2015 hat sie deshalb 40 Stunden gegründet. Ein Gespräch über ihre Interviews, die Idee hinter 40 Stunden und das Feuer, das nur in Leidenschaft steckt.


Die Fragen stellte diesmal Kerstin Petermann

Bei unserem ersten Treffen dachte ich: „Boah, du bist so jung – im Gegensatz zu mir – und hast so wahnsinnig viel Energie“. Wer ist Julia Kottkamp eigentlich? Wenn du sieben Wörter verwenden dürftest, um dich selber zu beschreiben, welche wären das?

Boah, krass! Total schwer und absolut tagesformabhängig. Wobei das schon das erste Wort wäre: Schwankend ­– Himmel hoch jauchzend und zu Tode betrübt. Julia ist außerdem immer auf der Suche. Sie liebt die Menschen, die sie liebt mit einem riesigen Herz. Kreativ im Umgang mit Menschen und auch mit Sprache. Genussmensch. Humor. Und Nummer sieben wäre Freiheit – die ist extrem wichtig. Und der Perfektionist in ihr schreit nun: „Hey, warum brauchst du acht Wörter und nicht nur sieben!“

Du hast Journalistik und Kommunikationswissenschaft studiert, hast im Marketing gearbeitet, in der Werbung, im Journalismus. Wie bist du auf die Idee gekommen, 40 Stunden zu gründen?

Ich wollte in den Journalismus, weil ich Geschichten über Menschen schreiben wollte. Es hat mich nie interessiert, Präsidenten zu stürzen oder hoch-investigativ Watergate-Skandale zu recherchieren. Mir ging es immer darum, Menschen verstehen zu wollen und persönliche Geschichten zu erzählen. Die Idee zu 40 Stunden war dann eine Verkettung von verschiedenen Begebenheiten. Während meiner Unizeit in Münster traf ich einen alten Bekannten, der mir erzählte, dass er nicht mehr als Bestatter im Familienunternehmen arbeiten wollte, weil er einfach keine Erfolgserlebnisse habe, denn niemand würde mehr lebendig. Er hat sich dazu entschieden, Soziale Arbeit zu studieren und neu anzufangen. Das hat mich beschäftigt und ich fing an, mich zu fragen, was Menschen als Erfolg in ihrem Job wahrnehmen. Dazu kam, dass ich auf der Suche nach „meinem“ Beruf oder besser meiner Berufung war. Ich fand Berufe und Motivationen einfach spannend und kam immer häufiger mit Leuten über ihren Job ins Gespräch. Es zeigte sich für mich, dass der Beruf viel über einen Menschen sagt und das Gespräch darüber einen Zugang zu ganz persönlichen Facetten ermöglichte.

Und dann hast du einfach angefangen, die Gespräche aufzuschreiben?

Nein, das verlief für mich lange Zeit sehr unbewusst, bis meine Freundin Stef meinte: „Hey, mach doch mal einen Blog über Menschen und ihre Berufe.“ Diesen Rat habe ich dann noch drei Jahre in meinem Herzen bewegt und dann traf ich Romy. Und dann haben wir es endlich einfach gemacht. Ich brauchte einen starken Partner, um die Idee wirklich zum Leben zu erwecken.

Und warum ist 40 Stunden ein Interviewformat geworden?

Wahrscheinlich, weil ich so gerne Fragen stelle. Und ich fand es gut, dass Interviews sehr deutlich transportieren, wer der Gesprächspartner ist und wer Julia ist. Da können zwei Charaktere sichtbar werden und die werden nicht miteinander vermischt. So hört beziehungsweise liest man zwei verschiedene Sprachen. Und wenn du Interviews führst, transkribierst du sie nach dem Gespräch. Insofern muss man nie auf dem weißen Blatt Papier beginnen zu schreiben. Das erleichtert die Sache ungemein. Wobei das vielleicht nur Schreiber nachvollziehen können.

Du hast so viele unterschiedliche Interviews geführt, mit ganz unterschiedlichen Menschen und entsprechenden Fragen. Was machen die Interviews mit dir?

Ich lerne, wie Menschen denken und wie sie dementsprechend funktionieren. Durch die Interviews werde ich noch hellhöriger auf Menschen. Und ich sehe noch mehr, wie sehr jeder seine ganz eigene Geschichte hat. Das ist irgendwie auch beruhigend, wenn man sich mit seiner eigenen kleinen Welt manchmal ganz verloren fühlt. Und mir bleiben einfach die Charaktere im Hinterkopf. Es berührt mich, wenn sie sich von meinen Fragen berühren lassen. Sowohl der Metzger, als auch der Neurochirurg – zwei gestandene Männer also, wenn man so möchte – saßen mit Tränen in den Augen vor mir.

Wer hat dich am meisten beeindruckt?

Das waren schon die beiden. Der Chirurg, weil ich persönlich mich komplett zum Helden erklären würde, wenn ich ein Menschenleben retten würde – und er war einfach „nur“ voller Demut. Und der Metzger, weil er so bodenständig war und eigentlich unspektakulär, aber genau darin ein ungemeines Spektakel ist. Ein Wahnsinns-Charakter. Außerdem hat er mir Entrecôte geschenkt. Und die Klofrau war der Knaller. Sie hat in meinen Augen einen ekelhaften und teilweise auch unwürdigen Job. Aber sie hat diesen Job mit Leben, Liebe und Anstand gefüllt und hat ihm dadurch Würde verliehen. Immer wenn ich jetzt irgendwo auf eine öffentliche Toilette gehe, muss ich an Gifty denken.

 

Journalistin Julia Kottkamp nimmt ein Interview auf

Wo findest du Inspiration für deine Interviews?

Ich werde am meisten von anderen Menschen inspiriert – von Gesprächen, Fragen, Ideen, Sichtweisen. Gerne im eins zu eins. Große Menschengruppen überfordern mich schnell.

Gibt es Fragen, die du dich nicht zu fragen traust?

Ich musste lernen, das zu überwinden. Ich bin nämlich auch so ein Harmoniemensch und möchte keinem weh tun. Aber ich habe mich immer wieder daran erinnert, den Leser als meinen Freund zu sehen und nicht denjenigen, der mir da gegenübersitzt. Insofern stelle ich dann eine Frage nicht als Julia sondern als Journalistin. So die Rollen zu wechseln, hat mich mutiger werden lassen.

Wenn man so viel mit Worten zu tun hat, sehnt man sich dann nicht manchmal nach totaler Stille?

Ja. Vor allem im Kopf, aber auch im Außen. Ich merke, dass ich auch ganz viel Ruhe brauche, um so ein Interview zu machen. Nur dann kommen „meine“ Fragen hoch. Ich muss ein Gefühl für mich haben, um ein Gefühl zu jemand anderem zu entwickeln.

Im Moment tauschen wir Rollen und jetzt wirst du mal interviewt.

Ja, das ist sehr komisch. Und man hat keine Zeit, nachzudenken. Das war mir vorher nicht bewusst.

Mit welchem Job beziehungsweise mit welcher Rolle würdest du gerne mal tauschen? Wer wärst du gerne für einen Tag?

Als amerikanischer Präsident glaube ich, dass man ganz viel über die Welt mitkriegt und ich bilde mir ein, dass man dann „alles über die Welt weiß“. Das finde ich spannend, aber aushalten könnte ich das wahrscheinlich nicht. Und ich habe ein gewisses Faible für so richtig gute Journalisten, weswegen das Interview mit Cordt Schnibben auch sehr besonders für mich war. Und wenn Giovanni di Lorenzo den Papst interviewt, dann finde ich das schon geil. Ina Müller in „Inas Nacht“ finde ich außerdem grandios. Aber um wirklich zu tauschen, fehlen mir glaube ich die Eier. Und ich mag einfach auch meine ganz persönliche Rolle: Freiberuflich verschiedenste Projekte wuppen und mit Sprachgefühl, Analytik und Kreativität  Menschen unterstützen.

Wen würdest du gerne mal interviewen.

Romy und ich hatten immer das Ziel, Angela Merkel als amtierende Bundeskanzlerin für 40 Stunden zu interviewen.

Das wäre ein riesiger Erfolg für 40 Stunden. Aber was ist Erfolg für dich?

Es hat mal jemand zu mir gesagt: “Julia, du bist so ein von Leidenschaft getriebener Mensch. Da kannst du nicht gegen an.” Das stimmt wohl. Demnach ist es immer dann für mich ein Erfolg, wenn ich mit und durch meine Leidenschaft Geld verdienen kann. Dann ist irgendwie alles einfach und es fließt. Und das Gefühl von Erfolg stellt sich bei mir auch ein, wenn Ruhe herrscht – in mir und um mich herum.

Wenn du 40 Stunden nicht hättest, was würdest du dann machen?

Dann würde ich mich zu 100% auf meine Selbstständigkeit konzentrieren. Ich habe ja schon viele Jobs in meinem Leben gemacht: Journalistin, Texterin, Marketing, Visionsentwicklung, Employer Branding, Coaching. Auf mich passte nie ein klassischer Beruf. Und so habe ich irgendwann begriffen, dass ich nicht Meisterin eines Faches bin, sondern einer Sache: Ich finde immer die Essenz. Als „Essenz-Finderin“ unterstütze ich heute Solo-Selbstständige und Angestellte in ihrer (wie könnte es anders sein) beruflichen Positionierung. Ich helfe Menschen zu verstehen, was sie antreibt und wofür sie stehen und das dann durch starkes Storytelling auch auf den Punkt sichtbar zu machen. Ich liebe es Menschen wieder mit ihrer Leidenschaft zu verbinden und dazu beizutragen, dass sich ihr Job leicht, im Flow und eben im Einklang mit den eigenen Bedürfnissen und Werten anfühlt. Auf 40 Stunden möchte ich dabei aber nie ganz verzichten. Beruflich ist das Projekt definitiv mein großer Stolz und ich glaube an seine Zukunft – und andere auch. Auch wenn sich die Gesamteinnahmen auf bislang 200 € belaufen. Dieses Baby gibt mir verdammt viel. Ich bin gespannt, wo es noch hinlaufen wird.

 

Flatlay Julia Kottkamp

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3 Kommentare

  1. 28. April 2017 Michael Stolze sagt:

    Liebe Frau Kottkamp,
    ob in der alten oder der neuen Version, Ihre 40-Stunden-Website ist wirklich einmalig. Einmalig schön und im wahrsten Sinne des Wortes einmalig in ihrer Art. Mich beeindrucken die zutiefst menschlichen, philosophischen und psychologischen Betrachtungen, die die interviewten Personen äußern, sei es die Bestatterin, der Taxifahrer oder die Melkerin. Vieles von dem, was ich da lese, kann ich aus meiner Lebenserfahrung nur unterschreiben, in vielen Punkten empfinde ich genauso, seien es die Gedanken über Tod und Leben, über Freundschaft oder über die Hybris der Menschen gegenüber den Tieren. Und toll ist natürlich diese lebendige Realitätsnähe! Man erlebt und fühlt mit den Interviewten und erfährt auch so manches Überraschende. Die Bilder sind wunderschön und einfühlsam fotografiert, ebenso super auch in Szene gesetzt. Die ganze Website hat eine schlichte, edle Anmutung, äquivalent ihrem Inhalt. Ich finde es wunderbar, daß es im kunterbunten Internet so eine stilvolle Oase der (geistigen) Ruhe gibt, und werde sie noch oft aufsuchen.

    1. Lieber Herr Stolze,
      das ist das schönste Feedback, was ich jemals für 40 Stunden bekommen habe. Wenn wir das erreichen, was Sie schreiben, dann bin ich zutiefst stolz. Ich danke Ihnen von Herzen.
      Mit einer kleinen Träne im Knopfloch,
      Julia Kottkamp

  2. 7. September 2021 Andreas Berger sagt:

    Liebe Frau Kottkamp,
    ein ganz großes Kompliment an Sie und Ihre KollegInnen. Es ist selten das Geld, das Erfüllung bringt auch wenn das Leben ohne nicht funktioniert. Ich orientiere mich beruflich gerade neu und bin dabei über 40 Stunden gestolpert. Mir hat das Interview mit dem Hamburger Müllmann gut gefallen. Sie haben – anders als in Ihrem eigenen Interview geäußert – in meinen Augen durchaus „Eier“ und zudem ein gutes Gespür für Fragen. Wenn nur eine Person die das Interview liest, ihr Verhalten beim Mülltrennen überdenkt oder ihre Vorurteile und/oder Überheblichkeit gegenüber anderen Menschen ablegt, dann hat sich die investierte Zeit und Energie schon gelohnt.
    Ich wünsche Ihnen bei Ihrer Arbeit noch viele interessante, erfüllende Begegnungen, gute Ideen und natürlich, auch wenn es abgedroschen klingen sollte, Gesundheit.

    Beste Grüße nach Hamburg

    Andreas Berger

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