Anne-Katrin Böhm ist Schauspielerin und war schon in der Theater AG „pissig“, wenn die Rolle zu klein war. Als Kind hatte sie einen Kassetten-Recorder und imitierte Stimmen von Boris Becker und Helmut Kohl – die einzigen Promis, die sie kannte. Ein Gespräch über das Geschichtenerzählen, den Sinn vom täglichen Kampf im Leben und über Heul-Laudatios bei den Oscars.
Guckst du die Oscar Verleihung?
Ab und zu mal. Aber das ist für mich kein absoluter Pflichttermin.
Nein?
Nein! Hollywood war für mich nie ein Ziel. Viele meiner Kollegen sagen, dass sie groß in Hollywood rauskommen wollen. Mich hat das nie gereizt.
Warum nicht?
Weil mir von vornherein bewusst war, dass ich mit dem Umfeld nicht klar komme.
Wie ist denn das Umfeld dort?
Ganz blöd gesagt: Ich brauche es nicht, dass ich mit meinem Freund am Strand liege und am nächsten Tag sieht man Bilder mit meiner Cellulite in der Zeitung. Öffentlichkeit ja, die gehört zu dem Beruf dazu und die finde ich auch schön. Aber sie darf nicht zu einer Maschine werden und so künstlich aufgebauscht werden. Das ist nicht meins. Da bin ich zu sensibel für. Und ich würde es auch nicht aushalten, in dieser Art und Weise in der Kritik zu stehen.
Ein Satz: Warum bist du Schauspielerin geworden?
Weil ich Geschichten erzählen möchte und die Menschen berühren will.
Dann hättest du doch auch Journalistin werden können.
Ne, ich hatte in Deutsch immer nur eine 2 und keine 1.
Ooops, ich bin raus. Ich stand in Deutsch immer 4 minus.
Ich drücke mich gerne mit meinem Körper aus und nicht nur mit Worten. Das geschriebene Wort ist das Eine. Aber es kommt dann doch vor allem auf die Interpretation an. Als Darsteller bringst du das eindimensionale Wort in eine dreidimensionale Ebene, über Musik, deinen Körper und deine Stimme. Das ist für mich die passende Art mich auszudrücken.
Was können Schauspieler besser als Nicht-Schauspieler?
Ich denke Schauspieler sind von Grund auf neugierig. Und verdammt gute Beobachter. Und alleine durch die Ausbildung glaube ich, dass Schauspieler sehr reflektiert durchs Leben gehen. Ich kenne viele Darsteller, die außergewöhnlich reflektiert mit sich selber und mit den Mitmenschen sind. Und auf der Bühne lernst du dann anzunehmen und mit dem umzugehen, was genau in dem Moment ist. Vielleicht trauen sich Schauspieler in ihrem Leben möglicherweise mehr zu experimentieren – aber das gilt natürlich nicht für alle.
Warum brauchte die Menschheit schon immer das Theater?
Ich glaube, wir alle haben in uns eine tiefe Sehnsucht nach einem „Mehr“. Und ich glaube, dass das Theater uns da immer wieder Möglichkeiten aufzeigen kann. Theater ist ein wertungsfreier Raum, in den ich mich mal zwei Stunden fallen lassen kann, um meinen Stress zu vergessen. Oder ich bekomme neue Sichtweisen. Und letztendlich kann das Theater einen immer wieder inspirieren, weiter zu forschen, was das „Mehr“ für einen persönlich sein könnte. Theater soll in irgendeiner Art und Weise etwas mit unseren Gefühlen machen. Und es soll machen, dass wir uns lebendig fühlen. Es kann zum Denken anregen und Veränderung anstoßen.
Wie laut haben deine Eltern geschrien, als du gesagt hast, du möchtest Schauspielerin werden?
Mein Vater hat zu dem Zeitpunkt schon nicht mehr gelebt, dementsprechend war es an meiner Mutter. Die war gar nicht begeistert. Sie hat zu mir gesagt, dass sie mich emotional auf dem Weg nicht unterstützen kann und die Unsicherheit und den ständigen Kampf für mich nicht möchte. Aber letztendlich meinte sie, mein Vater hätte gewollt, dass ich einen Beruf ergreife, den ich wirklich machen will und sie mich deshalb machen lässt und mich zumindest finanziell unterstützen wird, soweit es geht. Heute ist sie sehr stolz.
Und wie hältst du persönlich den täglichen Kampf jetzt aus?
Es gibt immer mal wieder Momente, wo man echt verzweifelt und wo man nicht mehr weiter weiß und man denkt, man schmeißt den ganzen Scheiß hin. Und dann kommen aber zum Glück doch immer wieder Momente, wo man von einem Glücksgefühl erfüllt wird. Zum Beispiel wenn dir Menschen aus dem Publikum von ganzem Herzen „Danke“ sagen, dass man sie mal für zwei Stunden aus ihrem Leben gerissen hat.
Aber manchmal wäre es dann doch hilfreicher, so jemand würde dir ein Butterbrot mitbringen, oder?
Naja, so schlimm war es bis jetzt zum Glück noch nicht. Was mir hilft ist einfach die Wertschätzung. Dass das, was ich tue, einen Sinn hat. Das sind die Momente, an denen ich mich hoch ziehe. Und wenn in der Verzweiflung ein neues Jobangebot kommt, dann ist das auch super. Klar.
Wie kämpfen Schauspieler eigentlich gegen die Langeweile, wenn sie immer wieder das Gleiche spielen müssen?
Ja, irgendwann kommt der tote Punkt. Letztendlich muss ich mir dann das Publikum vor Augen führen. Vielleicht sitzt da jemand, der das Stück noch nie gesehen hat und dessen Traum es war genau dieses Stück oder diese Produktion einmal zu sehen. Vielleicht hat er sogar lange dafür gespart. Da bin ich es doch allein diesem einen Menschen schuldig, alles zu geben. Und letztlich bist du ja auch nicht alleine auf der Bühne. Da sind ja noch Kollegen und gemeinsam spielt man dann jeden Abend auch ein bisschen anders, entdeckt neue Nuancen und das Stück entwickelt sich weiter.
Und wie spielt man mit Liebeskummer und Bauchweh?
Schauspielerei ist am Ende einfach ein Lernberuf und solche Situation trainierst du in der Ausbildung. Da beherrscht man einfach bestimmte Techniken. Letztendlich ist es die große Kunst und eine harte Übung, nur in einem Moment zu sein. Und trotzdem nimmst du manchmal Dinge mit auf die Bühne. Wenn ich etwas wirklich nicht abschütteln kann, dann versuche ich es für die Rolle zu nutzen. So kann eine Szene dann auch schon mal etwas aggressiver werden, als am Tag zuvor.
Wie ist das eigentlich, wenn man was Peinliches auf der Bühne machen muss? Wo hört die Rolle auf und fängt die Persönlichkeit an?
Der Grundsatz des Theaters ist die Behauptung. Und wenn ich mich auf die Bühne stelle und etwas tun muss, was mir aber voll peinlich ist, dann wird der Zuschauer es auch peinlich finden. Das heißt, meine einzige Rettung ist eigentlich, zu akzeptieren was ich da tue und es einfach zu machen. Und dann ist es auch Gewöhnung. Zum Beispiel bei sexy Kostümen. Nach der dritten oder vierten Vorstellung läufst du quasi halbnackt durch den Backstage-Bereich und achtest da gar nicht mehr drauf.
Was ist für dich Erfolg?
Glücklich und zufrieden zu sein mit der Tätigkeit, die ich gerade tue, und dabei meinen Lebensunterhalt gut finanzieren zu können.
Und wie fühlt sich Applaus an?
Wenn es so ein ganz ehrlicher frenetischer Applaus ist, dann ist das für mich das schönste Gefühl was es gibt. Die Verbeugung die wir dann am Schluss auf der Bühne machen, die ist dann die genau richtige Geste dazu. Das ist für mich wirklich eine Mischung aus Freude und Demut.
Aber klatschen die Leute wegen der Rolle oder wegen dir?
Die klatschen wegen dem, was sie gerade auf der Bühne erlebt haben und davon bin ich ein Teil – in meiner Rolle und natürlich auch als Privatperson, die ich in diese Rolle mit rein gebe.
Und wie steht die Rolle im Verhältnis zur Größe der Bühne?
Die Größe der Bühne ist egal. Meine schönsten Erfahrungen waren auf kleinen Bühnen. Bei der besten Vorstellung meines Lebens standen wir mit acht Schauspielern auf der Bühne und im Publikum saßen sechs Leute.
Wechseln wir noch mal über den großen Teich, weg von sechs Leuten im Publikum. Was wäre, wenn du doch die Möglichkeit hättest, in dieses Big Business einzusteigen. Würdest du dann aufgrund deiner Bedenken und Ansichten ablehnen?
Dann wären vermutlich die Neugier und die Abenteuerlust doch so groß, dass ich es trotzdem machen würde.
Wenn man dir also den Oscar in die Hand drücken würde, würdest du ihn nicht zurück geben.
Nein, natürlich nicht!
Kreische-Typ oder der Heule-Typ?
Der Heule-Typ, definitiv.
Und wem würdest du in deiner Laudatio unter Tränen danken?
Ich glaube ich würde mich bei meinem Leben bedanken. Und vor allem bei all den Schwierigkeiten, die ich im Laufe meines Lebens so hatte. Auch bei allen Menschen, die mir Steine in den Weg gelegt haben. Ich glaube, nur über Krisen kommt man zu einer Tiefe. Und diese Tiefe brauchst du, um gut spielen zu können.
Kontakt zu Anne-Katrin Böhm: www.anne-katrin-boehm.de
Text: Julia Kottkamp
Fotos: Romy Geßner
Liebe Julia, liebe Romy,
es war mir eine Freude mit euch!
Danke und weiterhin ganz viel Erfolg!