Sprengmeister Peter Bodes

Ich kann einfach nichts anderes, als Bomben entschärfen.

Sprengmeister Peter Bodes

Peter Bodes ist Sprengmeister, oder auch spektakulärer Bombenentschärfer. Angst – sagt er selber – kennt er nicht, es sei denn, es sind Existenzängste. Ein Gespräch über eine voll-beschäftigte Ehefrau, den Umgang mit täglicher Lebensgefahr und über explosive Auseinandersetzungen zwischen Menschen.

Was in Ihrem Leben macht Sie so richtig nervös?

Schwer zu sagen, in meinem Alter und bei meinem Beruf. Da muss auf jeden Fall einiges kommen. Wahrscheinlich macht mich am ehesten noch der Verkehr auf Hamburgs Straßen nervös – so wie jeden anderen Menschen auch.

Haben Sie eine Lebensversicherung?

Ja, aber meine Versicherung schließt meine berufliche Tätigkeit aus. Wenn ich also „normal“ ums Leben komme, bin ich versichert – sonst nicht. Das Risiko, Kampfmittel aus den Weltkriegen zu entschärfen ist einfach nicht so richtig versicherbar.

Abenteurer, Adrenalinjunkie oder schlicht nicht von dieser Welt: Mit welcher Motivation sind Sie Sprengmeister geworden?

Ich kann Ihnen sagen, dass man da so reinrutscht. Meine Dienststelle besteht aus zehn Mitarbeitern und keiner von denen hatte das Ziel, beruflich Bomben zu entschärfen. In der Regel kommen die Leute von der Bundeswehr. Es werden hauptsächlich Minentaucher und Feuerwerker rekrutiert.

Was macht denn ein Minentaucher?

Der bekämpft Kampfmittel unter Wasser. Der Angreifer ist z. B. der Kampfschwimmer und der Abwehrer ist der Minentaucher. Das heißt, ihr Auftrag ist es, die Minen zu suchen und sie zu zerstören. Fertig. Und wer unter Wasser Kampfmittel entschärfen kann, der kann das eben auch an Land.

Sie haben irgendwie ein anderes Nervenkostüm als andere Leute, oder?

Ja, wahrscheinlich schon. Wobei das auch medizinisch bedingt ist. Es gibt im menschlichen Gehirn gewisse Zonen, die für das Angstgefühl eines Menschen zuständig sind. Die Ausprägung von Angst ist sehr individuell und bei jedem Menschen anders. Menschen, die ganz wenig oder gar keine Angst spüren, haben echte Probleme, da sie gar keine gefahrbringende Situation erkennen. Bei uns hier im Team würde ich sagen, dass dieser „Pegel“ optimal liegt. Wir können hier weder jemanden brauchen, der vor Angst zittert, noch den Hasardeur. Wir brauchen hier den technisch versierten Menschen, der auch in lebensgefährlichen Situationen einen ruhigen Kopf bewahrt.

Welche Charaktereigenschaften brauchen Sie noch in ihrem Job?

Mut, Charakterfestigkeit und Ehrlichkeit.

Warum Ehrlichkeit?

Weil wir hier eigene Spreng- und Zündmittel haben, die in gewissen Kreisen äußerst beliebt sind. Da kann ich einfach keine Diebe und Hehler gebrauchen. Ich benötige Mitarbeiter, die zu hundert Prozent ehrlich sind.

Sie haben mir im Vorgespräch gesagt, dass in Hamburg jeden Tag eine Bombe entschärft wird.

Statistisch gesehen stimmt das. Aber natürlich ist es nicht jeden Tag eine große Bombe. Man vermutet, dass in Hamburg noch mindestens 2.900 große Bomben aus dem letzten Weltkrieg liegen. Aber man weiß es nicht genau, weil kaum etwas dokumentiert wurde.

Wie fühlt sich das an, im Prinzip jeden Tag in Lebensgefahr zu sein?

Das ist ein Gewöhnungsprozess. Sie schaffen es einfach nicht, sich jeden Tag damit auseinander zu setzen, dass das Ihr letzter Tag sein könnte. Das muss man einfach wegstecken können oder man macht den Job nicht lange.

Also küssen Sie Ihre Frau nicht jeden Morgen „Good Bye“?

Nein. Ich glaube, wir haben da einen ganz normalen Arbeitsablauf, wie andere Leute auch. Meine Frau arbeitet in der Personalabteilung vom Helmholtz-Zentrum. Die hat ihren Kopf auch voll. Wir haben gar keine Zeit, den ganzen Tag darüber nachzudenken, was der andere gerade macht.

Haben Sie Ihre Frau vor oder nach Ihrer Berufswahl kennen gelernt?

Wir haben uns kennen gelernt, als ich schon Minentaucher war. Sie wusste also, dass mein Beruf nicht gerade ungefährlich ist. Und als ich dann von der Marine zum staatlichen Kampfmittelräumdienst kam, wurde das Risiko einfach nur noch ein bisschen getoppt.

Bei der Bundeswehr haben Sie streng genommen Waffen eingesetzt, um Menschen zu töten. Heute entschärfen Sie Waffen, die Menschen töten sollten. Hadern Sie da manchmal mit Ihrer eigenen Vergangenheit?

Nein, ich hatte da nie einen Knoten im Kopf. Zum Soldatensein gehört dazu, dass man wehrfähig ist. Ich weiß, dass das in der heutigen Zeit sehr kritisch angesehen wird, aber ich sehe das nicht so. Es wird auf dieser Welt immer Konflikte geben. Und wenn tatsächlich immer der Klügere nachgibt, regieren irgendwann die Dummen. Das kann und darf nicht sein. Jetzt entschärfe ich eben Waffen. Mir wurde einfach eine andere Aufgabe gestellt und die erfülle ich jetzt.

Aufgabe, zack. Aufgabe erfüllen, zack. Das ist aber schon so ein klassisches Bundeswehr-Denken, oder?

Ja, genau. Und ich muss ganz klar sagen, dass das nicht immer schädlich ist. Ganz, ganz vieles wird heute in Deutschland in vielen, vielen Besprechungen zerredet. Manchmal ist es schlicht einfacher die Dinge zu tun, über die man sonst einfach nur reden würde.

Warum sind Sie bereit, Ihr eigenes Leben für andere zu riskieren?

Naja, es spielt schon eine Rolle, dass mir auch ein gewisses Entgelt für meine Arbeit gezahlt wird. Mit irgendwas muss man ja einfach Geld verdienen und ich bin der Auffassung, dass man das mit dem machen sollte, was man eben besonders gut kann. Ich wäre einfach nicht so gut geeignet, in der Elbphilharmonie zu sitzen und Geige zu spielen.

Wenn also nun das Telefon klingelt und einer sagt: „Ihr müsst kommen, da liegt so ein richtig dickes Ding.“ Was geht dann in Ihrem Kopf ab? Zucken Sie dann doch innerlich zusammen oder freuen Sie sich, mal so richtig ran zu dürfen?

Man freut sich doch nicht über Arbeit! Also ich freue mich dann, wenn ich in den Urlaub nach Kroatien fliege, aber nicht über eine große Bombe. Bei einer wirklich großen Bombe weißt du direkt, dass das sehr, sehr lange dauern wird. Da werden dann fünf- bis zehntausend Menschen evakuiert und Polizei, Feuerwehr und Ordnungsämter sind gefordert. An so einer Einsatzstelle ist der Teufel los. Das ist viel, viel psychische und vor allem auch physische Arbeit.

Können Sie ansatzweise beschreiben, wie ein Einsatz abläuft?

Das sind grundsätzlich immer ganz unterschiedliche Bedingungen. Jede Bombe ist anders, jede hat einen anderen Zünder. Je nachdem kommen andere Werkzeuge zum Einsatz. Grundsätzlich müssen wir zunächst klären, womit wir es zu tun haben. Wir müssen das Kampfmittel von Sand und Dreck befreien und dürfen es nicht bewegen – das ist das aller wichtigste. Und dann geht es immer darum, den Zünder von der Bombe zu entfernen. Das machen wir in den meisten Fällen mit einem Hochdruckwasserschneidgerät, was mit 2.400 bar Stahl wie Butter schneidet. Das alleine ist schon mehr als beeindruckend, denn solche Geräte stehen in der Industrie sonst in sterilen Räumen. Wir schleppen es auf eine Baustelle. Wenn da ein Sandkorn an der falschen Stelle ist, fliegt uns nicht nur die Bombe um die Ohren, sondern auch das Hochdruckwasserschneidgerät. Wir arbeiten im Team und sorgen dafür, dass die Anlage optimal zur Bombe für den Schneidevorgang ausgerichtet ist. Das geht es um sehr wenige Millimeter. Danach ziehen wir uns in unseren mobilen Bunker 60 bis 70 Meter entfernt zurück und starten den eigentlichen Schneidevorgang aus der Entfernung. Nach dem Entschärfungsvorgang muss der Zünder mit einer Übertragungsladung noch separat gesprengt werden. Dann besteht für den Kampfmittelräumer eine extreme Gefahr. Die Gefahr für die Bevölkerung ist dann aber gebannt.

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Denken Sie dann in diesen Momenten an irgendwas?

Nein, ich konzentriere mich dann nur auf die Sache. Da bin ich halt Erfahrungsträger.

Und Hollywood, mit dem grünen und roten Drähten?

Ha ha! Das gibt es bei uns überwiegend nur noch bei Unter-Wasser-Minen. Dies ist eine Aufgabe für unsere eigene Tauchergruppe und deren technisch anspruchsvolles Tauchequipment. Das sind aber nicht nur zwei Drähte, das sind in der Realität wesentlich mehr.

Man wächst offensichtlich doch an seinen Herausforderungen. Was passiert nach einem Einsatz, wenn alles gut gegangen ist: Gehen Sie dann mit den Jungs ein Bier trinken und klopfen sich auf die Schultern?

Ha, wovon träumen Sie denn? Danach räumen wir auf und dann trinken wir einen Kaffee. Man muss ja nicht immer gleich in Freudentänze ausbrechen. Man kann sich auch still und leise freuen.

Hey man, aber jetzt sagen Sie mir bitte, dass Sie schon wahrnehmen, dass Sie dann noch am Leben sind und zumindest mal kurz grinsen.

Ja, schon.

„Ja, schon.“ Ich lache mich kaputt. Hey, Sie haben doch auch nur ein Leben. Das kann Ihnen doch nicht so am Arsch vorbei gehen.

Das geht mir auch nicht am Arsch vorbei. Jeder Mensch lebt doch gerne – das ist doch klar. Aber ob man das immer mit Emotionen verbinden muss, ist eine andere Frage. Ich mag das einfach nicht so und meine Mitarbeiter sind da auch alle so – nüchtern, technisch einfach.

Wann würden Sie Ihren Beruf an den Nagel hängen?

Das kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall nicht wegen Sachen, die aus dem Kampfmittel heraus kommen.

Und wenn ihre Frau sagt, dass sie es nicht mehr will.

Naja, dann müsste sie mich auch unterhalten, denn ich kann ja einfach nichts anderes als Bomben entschärfen. Ich bin 60 Jahre alt und mache seit 40 Jahren nichts anderes. Wer soll mich da denn noch nehmen?

Aber wenn für Ihren Unterhalt gesorgt wäre: Würden Sie dann aufhören?

Ja, sofort. Aber davon sind wir Meilenweit entfernt. Ich kann mir ganz ehrlich Vieles vorstellen, was schöner ist, als Bomben zu entschärfen. Ich gehe sehr gerne an die Arbeit, aber ich spüre das Alter. Hier im Büro laufen Sie über Teppichboden. Aber ich laufe teilweise sechs Stunden am Tag über Baustellensand und -erde. Machen Sie das mal Ihr Leben lang, da haben Sie Beine. Und dann wissen Sie, dass sich Strand-Sand einfach im Alter besser unter den Füßen anfühlt.

Was ist Erfolg für Sie?

Wenn ich durch angewandte Techniken ein Kampfmittel besiegen kann und wenn wir da als Team als Sieger rausgehen.

Was lehrt Sie Ihr Beruf?

Überlegen. Man muss immer überlegen, bevor man sofort antwortet. Ich bin eher von sehr starken Emotionen geprägt – in jungen Jahren war das noch schlimmer.

Also bislang saß mir hier Mister Cool gegenüber…

Ja, wenn es um die Bomben geht. Aber im normalen Leben bin ich sehr direkt. Und das ist immer so ein schmaler Grat. Wenn wir hier als Team unterwegs sind, dann ist es ganz gut, wenn z. B. mein Stellvertreter introvertiert ist. Der bremst mich dann auch schon mal aus.

Sobald keine Bombe im Spiel ist werden Sie also selber eine?

Jo, also ganz so schlimm vielleicht nicht. Aber das ist halt mein Naturell und da kommt man ja auch nicht so einfach raus. Verstellen auf Dauer geht eh nicht.

Sie machen mir wirklich Spaß! Zu guter Letzt. Ihr Rat als Sprengmeister: Wie entschärft man brenzlige Situationen im Leben?

Indem man drüber spricht. Durch Reden lässt sich viel bereinigen. Und das vermisse ich auch heute bei vielen Menschen. Man muss in der Lage sein, einfach mal unterschiedliche Beweggründe darzulegen. Aber dafür muss man auch zuhören können. Und das ist halt schwierig. Es gelingt mir auch nicht immer. Wahrscheinlich macht mich das sogar richtig nervös!

Kontakt zu Peter Bodes: Kampfmittelräumdienst

Text: Julia Kottkamp
Fotos: Stefan Roehl, Assistenz Laura Heigwer

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Julia Kottkamp Gründerin und Autorin Julia Kottkamp

Julia hat Journalistik studiert und arbeitet freiberuflich als Kommunikationsberaterin und Sparringspartner in Organisationsentwicklungsprozessen. In ihrer Arbeit geht es immer um das Gespräch mit Menschen. Zuhören, verstehen und daraus Kommunikation für Klarheit entwickeln.

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Stefan Roehl Fotografie Stefan Roehl

Stefan ist selbstständig als Fotograf. Er fotografiert Reportagen u.a. für Kundenmagazine und liebt als großer Musikfanatiker Künstlerportraits. Er mag es, unter Menschen zu sein und zu quatschen.

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