Architektin Merle Zadeh

Ein Gefängnis ist ja nicht Schöner Wohnen.

Architektin Merle Zadeh
Merle Zadeh im Gespräch mit einer KundinMerle Zadeh im Gespräch mit einer Kundin

Merle Zadeh ist Architektin, wobei sie eher sagen würde, dass sie Expertin für Raum ist. Räume sind für sie Orte, in denen sich Menschen begegnen und die Atmosphäre transportieren. In ihrem Berufsalltag gibt es des Öfteren Begegnungen mit graumelierten Männern und atmosphärischen Störungen. Ein Gespräch über Ästhetik, Würfel und warum man nicht jeden Mantel einfach so aufhängen sollte.

Es gibt kaum eine Wohnung, die ich mir perfekter vorstelle, als die eines Architekten. Was ist dir wichtig an deinem Wohnraum?

Wohnraum ist immer sehr intim. Damit ich persönlich mich darin wohl fühle, muss es hell sein und genügend Platz haben, damit man sich auch mal zurück ziehen kann. Und dann braucht es sicher einen repräsentativeren Bereich, in den man gerne Leute einlädt und zusammen sein kann.

Sind Architekten eigentlich immer Ästheten?

Ja, ich glaube das sollte so sein.

Aber Ästheten, die nicht wirklich rechnen können, oder? Zumindest scheint es das Vorurteil auf dem Bau zu geben, dass ihr die Künstler seid und „die richtigen“ Ingenieure es dann ausbaden müssen.

Ja, es gibt eine Rivalität zwischen Architekten und Bauingenieuren, was ich aber ehrlich gesagt ziemlich daneben finde. Gute Projekte können, glaube ich, nur im Miteinander entstehen. Das heißt, du brauchst einen guten Bauingenieur der Bock hat und einen Architekten, der Bock hat. Und Künstler passt mir irgendwie nicht. Eigentlich bist du nie ein Künstler, denn Architektur ist ja nicht zweckfrei. Architektur hat immer den Sinn, für Menschen eine Hülle zu sein.

Du erschaffst also Hüllen, in denen Menschen sich bewegen können.

Ja, ich finde Raum interessant. Ich würde meinen Beruf so definieren, dass ich Expertin für Raum bin. Ich glaube, die Räume, in denen wir uns bewegen, beeinflussen, wie wir uns fühlen. Wenn ich mich in einer Kirche bewege, dann fühle ich mich ganz anders, als wenn ich in einer kuscheligen Blockhütte sitze oder ich meinen Koffer durch die Flughafenhalle ziehe.

Merle sitzt über einer Bauzeichnung

Was genau fasziniert dich an Räumen?

Ich glaube, das, was dem wirklich zu Grunde liegt, ist nicht allein der Raum sondern vor allem der Mensch. Mich interessieren Menschen und wie sie miteinander interagieren. Und der Raum ist einfach ein Rahmen, der bestimmte Dinge ermöglichen oder eben auch verhindern kann. Mein Ziel in meiner Arbeit ist es, Räume zu erschaffen, die für Menschen optimale Verhältnisse bieten, sich darin zu bewegen.

Wenn wir jetzt mal Räume von außen betrachten, also bekannte Gebäude von Stararchitekten wie Le Corbusier, Frank Gehry oder Norman Foster. Wie erstrebenswert ist es für dich, solch prominente Gebäude zu bauen?

Das war nie ein konkretes Ziel von mir. Also ehrlich gesagt würde ich nicht nein sagen, wenn mich jemand fragen würde, eine neue Oper oder etwas in der Art zu entwerfen. Das ist eine tolle Aufgabe. Aber ich mag genauso diese kleinen Aufgaben wie z. B. für jemanden sein kleines Ferienhaus planen und für diesen einen Menschen eine gute Umgebung schaffen. Am Ende interessiert es mich einfach, was in den Räumen passiert. Räume haben eben einen großen Einfluss darauf, wie man sich im Alltag bewegt und sich fühlt. Und das finde ich total interessant.

Sind diese Prachtbauten in deinen Augen also oberflächlich?

Nein, das würde ich nicht sagen. Nur haben sie eben eine andere Aufgabe.

Welche?

Naja, also wenn ich ein Bürogebäude für eine Bank plane, dann muss das Gebäude bestimmte Funktionen erfüllen. Es muss Arbeitsraum für so und so viele Menschen haben und muss dementsprechende Bedingungen bieten. Das sind komplett andere Anforderungen als beim Wohnen. Du kannst ein Bürogebäude nicht so planen, wie eine Wohnung, denn am Ende soll es ja nicht gemütlich sein.

Wenn ich dich richtig verstehe, möchtest du also speziell Räume erschaffen, in denen Menschen schlafen, duschen und kochen?

Das würde ich auch nicht sagen. Ich finde Räume einfach dann am interessantesten, wenn darin Begegnung, auch und vor allem neue Begegnung stattfinden kann – Begegnungsräume. Ich plane z. B. gerade ein Altenwohnheim mit integriertem Kindergarten. Diese Idee ist letztlich aus einer Beobachtung geboren: Niemand geht gerne in ein Altenheim. Weder die alten Leute noch die jungen.

Warum nicht?

Weil die Atmosphäre schlicht und einfach deprimierend ist. Weil dort kein Leben stattfindet. Und warum ist da kein Leben? Weil alle Leute, die dort sind, alt sind und sich nicht mehr so bewegen können und eben nicht mehr aktiv sind. In dieser Lebensphase werden Menschen eher zu Zuschauern. Nur wenn es keine Bühne gibt, auf der es was zu sehen gibt, dann wird es einfach sehr trist. Dann sitzen die Menschen rum, schauen aus dem Fenster, nichts passiert oder sie warten einfach nur, dass sie mal Besuch bekommen.

Merle und Kollegin am Tisch

Altenwohnen plus Kindergarten. Was ist die genaue Idee dahinter?

Ich weiß von meiner Großmutter, dass sie sich immer total gerne in den Hof gesetzt hat. Dort saß sie und hat den Kindern beim Spielen zugeschaut und hat sich über die Tiere gefreut. Es gab was zu sehen. Und das Tolle ist: Kinder haben keine Berührungsängste sich mit alten Menschen auseinanderzusetzen. Ich halte mein Konzept für sehr sinnvoll, weil es die alten Strukturen der Großfamilie wieder aufgreift. Die Generationen leben zusammen. Ich glaube, man sollte das wieder mehr institutionalisieren und weniger trennen in die Jungen, die Alten und die Arbeitenden.

Ich muss jetzt mal komplett hypothetisch werden. Aber es muss auch Architekten geben, die Gefängnisse planen. Könntest du das mit deinem Anspruch nach menschlichen Begegnungsräumen vereinbaren?

Es wäre interessant. Da muss man natürlich ganz genau gucken, was das Gebäude leisten soll. Was brauchen die Bewohner, was die Wärter und die dort Angestellten? Und was muss das dort für eine Atmosphäre sein? Ein Gefängnis ist ja nicht „Schöner Wohnen“. Ein solches Projekt hat ganz andere Anforderungen und es ginge darum, das richtige Maß zu treffen.

Aber würdest du bei einem solchen Projekt nicht mit deiner Ästhetik in Konflikt kommen?

Im Grunde geht es bei einem solchen Projekt dann mehr um die Funktion und in die musst du dich komplett rein denken können. Ich würde so ein Projekt nicht ablehnen, zumal es ja durchaus auch eine eigene Ästhetik sein kann, die dort entsteht. Projekte ablehnen würde ich aus Gewissensfragen. Also für bestimmte Regime würde ich keine Projekte planen. Und wenn jemand eine Baugenehmigung an einer unberührten Küste bekommt und ich umwelttechnische Bedenken hätte, dann würde ich das auch nicht machen. Aber an sich, von ihrer Funktion her, finde ich alle Projekte spannend und würde sie auch gerne umsetzen.

Was inspiriert dich für deine Arbeit?

Ehrlich gesagt kann mich fast alles inspirieren. Farben, Formen, aber auch Texte, die eine bestimmte Atmosphäre transportieren. Am Ende geht es darum, dass aus einer Form eine Stimmung entsteht.

Wie entstehen Formen? Wie kommst du auf deine Ideen?

Das ist ein Zusammenspiel aus dem Ort und der Funktion. Ich schaue mir also das Grundstück an und mache Fotos. Ich gucke, was in der Nachbarschaft ist und nehme die Atmosphäre wahr, die herrscht. Manchmal merke ich dann, dass ich z. B. eine bestimmte Atmosphäre verstärken möchte. Und dann muss ich mich an die herrschenden Massen herantasten. Meistens arbeite ich dann mit Styroporwürfeln und gucke, wie viel Platz ich zur Verfügung habe. Und dann fange ich an, die Kuben und Volumina auf dem Grundriss zu bewegen und beachte auch, welche Abstände zu Nachbargrundstücken und zu Straßen ich einhalten muss. Und so definiert sich irgendwann immer enger, wie viel Platz man hat und was an Volumen und Form möglich ist.

Merle Zadeh erstellt Kuben

Architekten denken also in Würfeln?

Nein, nicht unbedingt. Aber es hilft, um erstmal die Massen in den Griff zu bekommen. Es ist natürlich auch noch mal ein Unterschied, wenn ich eine Idee für eine freie Form habe – also z. B. eine geschwungene Form, wie das Dach der Elbphilharmonie eine ist. Die skizziert man dann oder baut entsprechende Modelle aus Pappe, Draht oder Stoff. Aber dann geht es wieder um Volumen, denn du musst ja etwas in diese Form hinnein entwerfen. Du planst also immer ein bisschen von außen nach innen und dann wieder von innen nach außen. Und im nächsten Schritt mache ich mir dann um die Materialien Gedanken.

Von meinem Gefühl her würde ich sagen, dass Architekt eher ein Männerberuf ist, wenn man das so sagen will. Wie ist das für dich als junge Frau, dich in der männerlastigen Baubranche durchzuschlagen?

Tja, manchmal sitzt man schon in so einer Besprechung, du hast zehn graumelierte Männer vor dir und dann merkst du recht schnell, welche Einschätzung dir entgegengebracht wird. Mir wurde auch schon mal ein Mantel in die Hand gedrückt.

Wie gehst du damit um?

Meistens kann ich dann darüber lachen. Und oft ist es dann natürlich auch so, dass sobald ich was sage, die Leute auch merken, dass es einen Grund hat, dass ich mit am Tisch sitze und ich nicht die Praktikantin bin, die nur zuhören soll. Ich glaube, so lange ich mich in dieser Situation nicht ausgeliefert fühle, ist alles ok. Aber es gibt natürlich auch gewisse Strukturen, in denen du davon abhängig bist, dass dir mal jemand einen Vertrauensvorschuss gewährt. Und wenn das nicht geschieht und du in diesen Strukturen fest hängst, dann finde ich das extrem ärgerlich. Und ich glaube das war dann auch für mich der Beweggrund, mich selbstständig zu machen. Ich weiß selber, was ich kann und was ich machen möchte. Ich möchte gerne Dinge bewegen und habe das Gefühl, ich kann das besser machen, wenn ich die Dinge selber in die Hand nehme.

Was ist für dich Erfolg?

Erfolg ist für mich, wenn die Sachen, die ich mir vorstelle, die Visionen die ich habe, wenn die Wirklichkeit werden. Wenn ich also feststelle, dass das, was ich mir überlegt habe und was ich mir als positive Entwicklung vorstelle, wenn das in die Wirklichkeit transportiert wird und funktioniert.

Und wie wichtig ist dir Geld?

Geld ist immer auch Teil von Erfolg. Nur mit dem nötigen Geld, kann ich das machen, was ich auch machen möchte. Ich möchte gerne genügend Geld verdienen, um selber entscheiden zu können, welche Projekte ich machen möchte und welche nicht. Aber Geld an sich ist für mich kein ausschlaggebendes Kriterium.

Am Ende muss man sich die eigene Ästhetik dann halt doch leisten können.

Ja, das stimmt. Und auch die Gesellschaft muss sich Ästhetik leisten können und wollen. Das ist wie mit unserer Kleidung auch – wenn es nur möglichst günstig sein soll, dann sieht man das am Ende. Aber weil Architektur ja in hohem Maße unser Lebensumfeld prägt, lohnt es sich meiner Meinung nach immer, in Ästhetik zu investieren.

Kontakt zu Merle Zadeh: www.june-architects.de

Text: Julia Kottkamp
Fotos: Romy Geßner
Visualisierungen: Merle Zadeh

Merle Zadeh zeichnet
Merle Zadeh_Visualisierung_Future Living_INNENRAUM
Vollgepackter Schreibtisch
Merle Zadeh im Gespräch mit einer Mitarbeiterin
Merle Zadeh_Visualisierung_HDS_GebäudefugeMerle Zadeh - Architektin

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Julia Kottkamp Gründerin und Autorin Julia Kottkamp

Julia hat Journalistik studiert und arbeitet freiberuflich als Kommunikationsberaterin und Sparringspartner in Organisationsentwicklungsprozessen. In ihrer Arbeit geht es immer um das Gespräch mit Menschen. Zuhören, verstehen und daraus Kommunikation für Klarheit entwickeln.

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Romy Geßner Fotografie Romy Geßner

Romy ist freiberufliche Fotografin und Diplom-Übersetzerin. Ihre große Leidenschaft sind Bilder von Menschen in ihrer Arbeitsumgebung. Sie steht für authentische Portrait- und Businessfotografie und sie liebt Reportagen.

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