Benjamin Klemann ist Schuhmacher und kommt von der kleinen Insel Föhr. Heute werden seine Schuhe in die große weite Welt geliefert und kleiden die ganz Großen – wenn es sein muss, auch aus Haileder. Ein Gespräch über Lebenswege, den aufrechten und stolzen Gang und die Löcher in den Socken der Promis.
Ich hatte Ihnen ja versprochen, dass ich mit meinen besten Schuhen komme. Und? Was denken Sie?
Ich denke 250€.
Wollen Sie mir jetzt schmeicheln?
Oh, waren die noch günstiger.
Touché. Liga verstanden. Die waren in der Tat günstiger.
Sagen Sie mal.
100€.
Da haben Sie ja dann ein Schnäppchen gemacht. Also, er sieht schön aus. Chelsea Boots sind eine wunderbare Angelegenheit und ich trage sie auch gerne. Wo ist der Schuh gefertigt?
Das weiß ich nicht.
Sehen Sie. Bei dem Preis geht es dann genau damit los. Darf ich den mal sehen?
Klar.
Es steht nicht drauf, wo der Schuh her kommt. Wenn er in Europa gefertigt wurde, dann wahrscheinlich in Portugal oder Spanien. Vielleicht auch aus der Türkei. Aber mit größter Wahrscheinlichkeit kommt dieser hier aus Asien. Er ist extrem einfach gefertigt und sogar geklebt.
Hm, ok, das macht mich nachdenklich ob der Wahl meiner Schuhe. Gehe ich meinen Lebensweg denn mit Maßschuhen wirklich besser?
Oh, ja! Der aufrechte Gang ist das, was uns vom Tier unterscheidet. Der Fuß ist in der Evolutionsentwicklung unglaublich wichtig. Nur durch die Ausbildung unserer Füße waren wir in der Lage, uns aufzurichten und hatten dadurch einen weiteren Blick. Außerdem konnten wir mit diesen Füßen gehen, rennen, springen, balancieren. Die Entwicklung des Gehirns und die des Fußes stehen in direktem Zusammenhang. Also, Punkt 1: Der Fuß hat eine enorme Leistung in der Menschheitsentwicklung vollbracht. Physikalisch trägt er nun unser ganzes Gewicht und muss daher gut eingebettet sein. Und Punkt 2: Wenn ich es denn geschafft habe, mir Maßschuhe leisten zu können, dann habe ich im Leben was erreicht. Dann wird ein solcher Schuh auch zum Statussymbol. Und das macht stolz.
Dummerweise kosten Ihre Schuhe das Fünfundzwanzigfache von dem, was ich mir leisten kann. Aber reden wir mal über Ihre Schuhe. Benutzen Sie Ihre alten Fußballschuhe noch?
Oh, gar nicht mehr. Ich glaube zuletzt mit 30 oder 35 Jahren. Warum?
In einem Interview habe ich gelesen, dass Sie Schuhmacher werden wollten, weil der Schuhmacher in Wyk auf Föhr immer so toll Ihre Fußballschuhe geflickt hat.
Ja, das stimmt. Ich fand den Mann und die ganze Arbeitsatmosphäre dort einfach so sympathisch. Und es hat mich fasziniert, wie wunderbar er mir mit meinen Schuhen helfen konnte.
Das heißt, im Grunde ist Ihre Liebe zu den Schuhen durch einen sympathischen Mann entstanden?
Ja, er hat mich beeindruckt. Mit 13 oder 14 wirst du dann das erste Mal gefragt, was du werden willst und da habe ich dann Schuhmacher gesagt. Das wurde von meinen Eltern allerdings ziemlich abgeschmettert. Schuhmacher war damals ein aussterbender Beruf, den niemand mehr auf dem Plan hatte. Heute hat sich das zum Glück wieder geändert und die Nachfrage steigt wieder.
Sie haben dann erst Abitur gemacht, aber haben nach dem Zivildienst doch Ihren ursprünglichen Wunsch wahr gemacht. Ihre Ausbildung führte Sie zu dem Ungarn Julius Harai, der damals als Meister seiner Zunft galt.
Es war zu Beginn der Achtziger unglaublich schwierig, überhaupt einen Ausbildungsplatz zu finden. Egal wen ich fragte, ob Arbeitsamt oder Innung: Alle sagten „Gibt es nicht mehr!“. Aber ich wollte unbedingt lernen, wie man ganz traditionell Schuhe herstellt. In Deutschland gab es quasi keine Werkstatt mehr, außer eben die von Harai in Neumünster. Und der hat mich eingestellt. Wenn es in Deutschland sonst nicht geklappt hätte, wäre ich direkt nach London gegangen, oder nach Paris oder Wien.
Und wie war es dann beim Großmeister?
Julius Harai war ein Typ, der irgendwie aus der Zeit gefallen war. Er war streng und cholerisch aber er hatte einen hervorragenden Betrieb und stattete zu der Zeit die Bundespräsidenten aus und Max Schmeling, Heinz Rühmann, Heinz Ehrmann, Dr. Oetker – so die Kategorie. Es war hoch spannend, was man von ihm lernen konnte, aber es war auch eine harte Schule. Während der Arbeit durfte nicht geredet werden und in den Pausen eigentlich auch nicht. Es sollte sich bloß niemand solidarisieren können.
Vier Jahre haben Sie in Neumünster ausgehalten und sind dann zu John Lobb, dem Schuhmacher der Queen und der Königlichen Familie nach London gewechselt. War Ihre Karriere damit besiegelt?
Es war einfach. Ich hatte eine grundsolide Ausbildung von Harai und habe Techniken gelernt, die als ausgestorben galten. Ich kam in einer Zeit nach London, in der es wahnsinnig viel Arbeit gab, aber keine Handwerker. Bei John Lobb konnte ich mir sofort eine eigene Werkstatt einrichten und auch Lehrlinge ausbilden. Da ging es einfach nur nach vorne. Ich durfte gar nicht lange nachdenken und habe einfach gearbeitet.
Ich kaufe meine Schuhe innerhalb von fünf Minuten. Wie lange bräuchte ich bei Ihnen?
Länger. Im Einzelhandel sehen Sie einen Schuh, er gefällt Ihnen, passt und Sie kaufen ihn. Bei mir brauchen Sie Phantasie. Ich kann Ihnen hier alle möglichen Schuhe zeigen, aber Sie müssen Ihren dann individuell zusammen stellen: Form, Leder, Sohle. Das fällt vielen Leuten sehr schwer. Und wenn Sie den Schuh dann heute im Januar bestellen, liefere ich ihn im August oder September.
Und wenn der Schuh mir dann nicht gefällt? Gab es schon mal einen Kunden, der dann völlig unzufrieden war?
Das ist auch schon vorgekommen. Einmal hatte ich einen Kunden, der sich über die fünf Schnürrlöcher beschwerte und meinte, dass sei seine Unglückszahl und so hätte er die nie im Leben bestellt. Zum Glück werden alle Absprachen dokumentiert. Viel schlimmer ist es für mich, wenn der Schuh nicht passt.
Was sind das denn generell für Menschen, die hier einkaufen?
Menschen, die schwierige Füße haben. Und dann eher die Gewinnertypen, die es sich leisten können.
Wie oft haben die Socken von Gewinnertypen Löcher?
Es kommt vor, tatsächlich. Das ist wie im richtigen Leben. Aber manche bringen auch extra frische Socken mit.
Welche Schuhgröße hat Tina Turner?
Das weiß ich nicht.
Ich weiß, dass Sie das wissen.
Sie hat kleine Füße.
Wie stolz sind Sie heute, dass Sie für die ganz Großen Schuhe machen?
Natürlich freue ich mich, wenn eine berühmte Persönlichkeit zu mir kommt. Das beeindruckt mich auch durchaus. Aber letztendlich ist das auch nur ein Mensch mit Füßen. Und keiner von denen schwebt vor mir. Alle müssen mit ihren Füßen auf dem Boden vor mir stehen. Das Maßnehmen ist durchaus intim. Oder ich komme zu den Leuten nach Hause und sie öffnen ihren Kleiderschrank. Da braucht es unbedingt gegenseitigen Respekt. Aber letztlich muss jeder auf mein Niveau runter kommen und sich mit mir und meinem Produkt auseinandersetzen, damit wir gut zusammen arbeiten können.
Was bedeutet Erfolg für Sie?
Erfolg ist, wenn der Kunde wieder kommt und ein Stammkunde wird. Und es ist für mich ein Erfolg, dass wir hier eine funktionierende Einheit haben. Meine Frau und meine beiden Söhne arbeiten in unserem Laden und noch drei weitere Mitarbeiter. Erfolg ist, wenn wir alle gemeinsam von der Arbeit leben können und Freude dabei haben und zufrieden sind. Geld ist für mich zweitrangig.
Sie können sich ja auch ihre Schuhe selber machen!
Sie wissen doch: Der Schuster und der Schneider haben die schlechtesten Kleider. Und die können sich in der Regel ihre eigenen Produkte gar nicht leisten. Aber natürlich komme ich auch zu Maßschuhen auf meine Art und Weise und so komme ich auch zu Maßanzügen.
Wie viel Paar Schuhe haben Sie in Ihrem Schuhschrank stehen?
Ich glaube 20 bis 25 Paare, inkl. aller Sport- und Wanderschuhe.
Das geht ja.
Es gibt sicher Leute, die mehr haben. Meine Frau zum Beispiel. Die hat mit Sicherheit das Doppelte
Wenn Sie Menschen kennenlernen, schauen Sie denen dann tatsächlich zuerst auf die Schuhe?
Erst Augen, dann Schuhe.
Ich muss Ihnen nämlich eine Geschichte erzählen. Als ich am Telefon zu Ihnen sagte, ich käme dann zum Interview in meinen besten Schuhen, hörte ich meine Mutter aus 300km schreien „Kind, du hast gar keine „besten Schuhe““. Und so nahm ich das zum Anlass, mir die neuen 100€-Schuhe zu kaufen.
Ach, Gott. Das wäre aber nicht nötig gewesen.
Also hätte ich auch mit meinen durchgelaufenen Chucks kommen dürfen?
Überhaupt kein Problem. Jeder Schuh hat seine Berechtigung. In unserer Gesellschaft hat es aber etwas mit Respekt zu tun, wie man sich kleidet. Schauen Sie sich die Griechische Regierung an: Die kommen alle ohne Krawatte. Das entspricht nicht unserer Konvention, damit haben wir ein Problem und damit verstehen wir die Griechen nicht. Aber aus meiner Sicht ist das einfach nicht wichtig. Wenn ich jemanden einlade, dann lade ich den Menschen ein und nicht seine Kleidung.
Kontakt zu Benjamin Klemann: www.klemann-shoes.com
Text: Julia Kottkamp
Fotos: Romy Geßner
Kommentare