Prostituierte Undine de Rivière

Manche Männer wollen einfach Urlaub vom Menschsein machen.

Prostituierte Undine de Rivière

Undine de Rivière ist Prostituierte, wobei sie sich selber lieber Bizarrlady nennt. Ein Gespräch über SM-Sex mit Gummihühnern, das Klischee der Zwangsprostitution und menschliche Bedürfnisse außerhalb von schlichtem Rein und Raus.

Neben deinem jetzigen Job bist du auch studierte Physikerin. Welches Wissen aus deinem Studium hilft dir heute noch?

Ich weiß, dass ich oft kinetische Energie in Deformationsenergie umwandle.

Das bedeutet für Nicht-Physiker?

Kinetische Energie ist Bewegung und Geschwindigkeit – ich schwinge die Peitsche. Und die Deformationsenergie macht dann rote Popos.

Das verstehe ich. Etwas anderes verstehe ich nicht: Warum machst du diesen Job?

Früher dachte ich, dass ich glücklich werde, wenn ich mich in ein Labor verkrieche. Irgendwann habe ich aber gemerkt, dass nur Menschen mich glücklich machen. Für diesen Job gibt es dann ganz viele Gründe. Zum einen habe ich eine wunderbare Work-Life-Balance, weil ich relativ kompakt mein Geld verdienen kann. Ich arbeite nur nachmittags unter der Woche und nur in Ausnahmen abends und am Wochenende. Und zum anderen habe ich einfach Spaß an meiner Arbeit und ich kann mein Talent ausleben. Ich kann empathisch auf Menschen eingehen und kann sie glücklich machen. Außerdem kann ich meine eigene Sexualität dabei ausleben – nicht immer, aber oft. In der Summe mache ich genau den Job, den ich gerne machen möchte. Und das jetzt schon seit 20 Jahren.

Kannst du besser Sex als ich?

Definiere Sex! Also natürlich gibt es Techniken, die man lernt und übt – und da habe ich vermutlich mehr drauf als du. Ich kann dich stundenlang mit suggestiver Verbalerotik zutexten. Und mein Beckenboden ist mit Sicherheit auch richtig gut trainiert. Und versuch mal eine halbe Stunde lang einen Mann zu reiten. Da tun dir die Beine weh – also trainiere ich die. Ganz zu schweigen von Techniken wie Deep-Throat – definitiv nicht meine Spezialdisziplin. Aber letztlich kommt es doch einfach darauf an, worauf man selber und das Gegenüber steht. Manche Menschen werden sehr einfach zum Beispiel schon durch äußere Reize getriggert – Schuhe, Lack und Leder. Und dann gibt es Menschen, die nur dann guten Sex haben können, wenn sie eine tiefe emotionale Bindung zu jemandem haben. Da geht es dann nicht um den technisch perfekten Blowjob, sondern um die bestimmte Person, die „ihn“ in den Mund nimmt. Sex ist am Ende für mich nichts anderes, als emotionales Öffnen und Vertrauen – auch in meinem Job und auch ganz ohne Berührung und Geschlechtsverkehr.

Wir sind eben durch eins deiner „Spielzimmer“ gelaufen, wie du sie nennst und da lag ein Gummihuhn rum. Und du sagtest mir, dass manche Männer hier Hund spielen wollen, und dir das Huhn apportieren. Ich stelle mir gerade einen Manager vor, der in Krawatte von der letzten Sitzung kommt, dann duschen geht und dir 20 Minuten später den Vierbeiner macht. Wie zum Teufel machst du das?

Wenn mein Gast aus dem Bad kommt, empfange ich ihn im Zimmer und sage ihm genau, was er machen soll. Er soll sich zum Beispiel an eine bestimmte Position stellen. Es geht dann darum, den Gast zu entspannen. Ich arbeite dann ganz viel mit meiner Stimme und kreiere Bilder im Kopf. Ich streichele den Körper und vor allem auch das Gesicht. Für mich ist das auch eine Vorbereitung, um zu sehen, wie jemand auf mich reagiert und wie es möglich ist, Nähe aufzubauen. Und dann entwickele ich einen Spannungsbogen.

Dass Leute vögeln wollen, ok, aber warum zum Teufel will ich ein Gummihuhn durch ein Zimmer jagen?

Manche Männer wollen in eine Tierrolle gehen, um Urlaub vom Menschsein zu machen. Die wollen vom Denken ins Fühlen kommen. Natürlich erscheint das mit den Hühnern komplett skurril. Aber schau dir mal die Strategie und das Bedürfnis dahinter an: Diese Männer wollen gestreichelt und gelobt werden. Sie wollen das rationale Denken ausschalten, nicht mehr agieren müssen. Für die ist reagieren müssen absolute Erholung. Sie werden dann von mir angenommen und dürfen geschützt von einer völlig anderen Rolle emotional sein. Gerade von einem Mann verlangt unsere Gesellschaft immer noch sehr oft, der Macher zu sein und die Initiative ergreifen zu müssen – auch sexuell. Der Hauptteil der Sessions, die ich hier im Studio mache, sind mit Leuten, die einfach mal abschalten wollen. Die wollen Führung abgeben. Gefesselt werden ist auch ein Ausdruck davon. So nach dem Motto, „Ich würde ja machen, kann ja aber nicht“. Das sind höchst individuelle und persönliche Bedürfnisse, die mit vermeintlich skurrilen Geschichten befriedigt werden. Und das kann ich dann sehr, sehr gut nachvollziehen. Ich finde es oft sehr erstaunlich, wie sehr sich meine Gäste mir anvertrauen und sich öffnen und erzählen. Das ehrt mich sehr.

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Hast du jeden Tag Lust auf deinen Job?

Nein, natürlich nicht. Es gibt Tage da hätte ich eher Lust, auf der Couch zu bleiben. Da bin ich wie jeder andere Mensch auch und muss mir selber in den Arsch treten.

Wie kannst du dann umschalten?

Das geht in Sekunden. Wie ein Schauspieler. Der spielt die Rolle nicht, sondern verkörpert die Rolle. Das kann ich auch. Das ist Übung. Und letztendlich geht es ja bei der Sexarbeit auch nicht zwangsläufig darum, meine eigene Sexualität zu befriedigen.

Das nicht, aber es bleiben ja deine Vagina und deine Brüste, also primär sexuelle Teile von dir.

Die Dinge, die ich hier mache müssen nicht meine persönliche Erfüllung sein. Es reicht, wenn sie ok für mich sind. Und wenn irgendwas körperlich an einem Tag nicht geht, dann sage ich das. Und wenn dann jemand auf etwas besteht, würde ich ihn weg schicken. Aber sowas bespricht man vorher.

Welche Tabus gibt es für dich?

Ich mag Analverkehr nur selten und lieber privat. Als professionelle Dienstleistung biete ich auch keine Küsse an. Das kann mal passieren, wenn das Zwischenmenschliche passt, aber ich lasse mich nicht speziell dafür buchen. Und es gibt einfach gerade im SM-Bereich Sachen, die ich nicht mit jedem mache.

Was sind das für Sachen?

Manchmal habe ich das Gefühl, dass Gäste manchen heftigen Spielen nicht gewachsen sind. Bei SM-Sex verwendet man fast immer Safewords, also Wörter, die man kommunizieren kann, wenn es einem zu viel wird. Im Rollenspiel geht es ja gerade darum, sich zu wehren und Widerstand zu leisten – „Nein, nein, bitte nicht.“ – und da setzt man sich dann natürlich auch darüber hinweg – eben bis zum Safeword. Es gibt aber auch Gäste, die ohne Safeword spielen wollen. Die möchten zum Beispiel geschlagen werden, ohne die Möglichkeit zu haben, es abbrechen zu können, auch, wenn es wirklich, wirklich schlimm wird. Ein Grund dafür kann eine Art Katharsis sein, also ein Gefühlsausbruch, der reinigend wirkt. Und sowas mache ich einfach nicht mit jedem.

Aber wenn du es machst: Wann hörst du dann auf? Wenn Blut fließt, oder wie?

Es wird selten genau darauf angelegt, kann aber durchaus eine Möglichkeit sein. In der Regel höre ich dann auf, wenn ich das Gefühl habe, dass mein Gegenüber da ist, wo er emotional hin wollte. Manchmal wird mir auch angetragen, eine ganz bestimmte Aktion durchzuziehen – zum Beispiel eine bestimmte Anzahl an Schlägen ohne Abbruchmöglichkeit. Dann ist es sehr wichtig, dass ich mein Gegenüber physisch kenne. Und ich muss mir auch sicher sein, dass er sowas psychisch durchsteht. Ich stehe bei sowas ja auch mit einem Bein im Knast. Wenn so jemand am nächsten Tag zur Polizei rennt und sagt: „Das war die böse Frau und ich habe nein gesagt, aber sie hat nicht aufgehört.“ Ja, was soll ich denn da machen? Ich kann das nur mit einer Person machen, die auch im Nachhinein noch sieht, dass alles in ihrer Verantwortung gelegen hat.

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Lässt du das auch mit dir machen?

Ja, sicher. Ich bin selbst Sadomasochistin, das ist Teil meiner Sexualität. Aber Spiele ohne Safeword mache ich nur im Privaten, nicht im Beruflichen. Hier im Studio spiele ich auch mal passiv – vielleicht so zwei Mal im Monat. Diese Stunden sind teurer, weil sie auch mit Spuren einher gehen können und ich lasse mir da durchaus auch was gefallen. Aber ich lasse keine Grenzüberschreitungen zu.

Hast du da nie Angst? Ich meine Safeword hin oder her …

Ich hatte noch nie einen Gast, der nicht zu stoppen war. Klar kommen Männer auch mal in einen Testosteronrausch und nehmen sich manchmal nicht mehr richtig selber wahr und werden gierig. Aber ich konnte bislang alle Situationen verbal deeskalieren.

Dein Job hat eine Million Klischees. Erklär mir bitte den Unterschied zwischen Klischee und Wahrheit.

Kein Klischee ist, dass hauptsächlich Männer kommen. Aber auch, weil das Angebot für Frauen schlicht fehlt. Rollenspiele à la Krankenschwester und Chefsekretärin sind auch tatsächlich häufig nachgefragt. Was dagegen tatsächlich ein Klischee ist, das aber immer und immer wieder vorkommt und sich stetig hält ist das, der ausgebeuteten Sexsklavin, die im Keller von ihrem Zuhälter fest gekettet wird. Genauso das Klischee der hilflosen Migrantin, die kein deutsch spricht, nicht weiß in welcher Stadt sie ist, nicht nein sagen kann und alles über sich ergehen lassen muss. Da steckt so viel Rassismus drin. Und so viel Angst vor dem Fremden. Da werden riesige politische Diskussionen aufgebaut. Die meisten Kolleginnen die ich kennen gelernt habe, sind selbstbewusste Frauen, die sehr genau wissen, was sie wollen und was sie nicht wollen und das auch kommunizieren können. Die berichten auch, dass die Anzahl an Zuhälter immer weniger wird, weil sich die Frauen das einfach nicht mehr gefallen lassen und selbstbewusster werden und sich zur Wehr setzen. Das Klischee der ausgelieferten Frau trifft in den allerwenigsten Fällen zu.

Laut den aktuellen Zahlen des Kriminalamtes gibt es in Hamburg ungefähr 2.500 Prostituierte. Wie viele Frauen machen den Job freiwillig und wie viele werden gezwungen?

Als Pressesprecherin des Berufsverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen habe ich mir die BKA-Berichte auf Bundesebene angeschaut. Dort wurden zuletzt weniger als 400 Ermittlungsverfahren von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung geführt. Gerichtlich bestätigt werden davon um die zehn Prozent der Fälle. Und wenn man zu diesen Fällen nun noch die restliche sogenannte Rotlichtkriminalität hinzu zählt, also die Paragraphen Zuhälterei und Ausbeutung von Prostituierten, dann kommt man auf unter 100 Verurteilungen pro Jahr. Das Täter-Opfer-Verhältnis steht in etwa 1:1. Gehen wir mal von 100 bestätigten Opfern aus und außerdem davon, dass solche Taten ähnlich schambehaftet sind und eine ähnlich hohe Dunkelziffer haben, wie zum Beispiel Vergewaltigung: Dunkelfeldstudien schätzen, dass es eine Aufklärungsrate von fünf Prozent bei diesen Fälle gibt – also im Verborgenen wahrscheinlich 20 Mal so viele Fälle existieren, als tatsächlich aufgeklärt werden. Ergibt unserer Rechnung wie oben gezeigt 100 bestätigte Fälle, liegt die geschätzte tatsächliche Zahl wohl eher bei 2.000 Straftaten. In Deutschland gibt es zwischen 60.000 und 400.000 Sexworker. Wenn wir diese 2.000 Fälle nun auf angenommen 200.000 Sexworker umrechnen, kommen wir auf eine Quote von einem Prozent. Aus meiner 20jährigen Erfahrung halte ich diese Quote für absolut realistisch. Mir ist in meinem Arbeitsalltag noch nie ein aktueller Fall begegnet und vielen meiner Kolleginnen auch nicht. Das ist einfach nichts, was an der Tagesordnung ist. Es ist ein ganz, ganz schlimmes Klischee.

Und warum hält sich das Klischee dann so wacker?

Zum Teil liegt das an einer politischen und christlich-konservative Agenda. Da soll Sexarbeit zwar nicht abgeschafft werden aber bitte doch im Verborgenen stattfinden. Und das ist dann absurd, denn gerade das fördert Missbrauch. Denn jemand ist viel leichter in Abhängigkeit zu führen, wenn er sozial isoliert ist und sich im illegalen Milieu versteckt, als wenn er in der normalen Gesellschaft integriert ist. Und dann schließen einfach sehr viele Menschen von sich auf andere. Dass sich viele Menschen diesen Job nicht vorstellen können, kann ich nachvollziehen – ich möchte auch nicht Zahnarzt sein. Sexualität ist für viele eben etwas, was man mit einem Partner macht oder zur Befriedigung der eigenen Lust. Da ist kein Verständnis dafür da, dass man eine Dienstleistung anbietet, die einem selber Freude macht, indem man anderen Menschen Lust ermöglicht.

Ist das deine Motivation?

Ja. Es macht mich glücklich, wenn mein Gegenüber sich mit leuchtenden Augen von mir verabschiedet und mit dem glücklich ist, was wir da zusammen gemacht haben.

Und gibt es da auch Männer, die wenn sie gekommen sind aus allen Wolken fallen, was sie da getan haben?

Ja, ab und an mal. Es gibt manche, die wollen dann ganz schnell nach Hause. Das kommt vor, sind aber zum Glück nicht so viele. Ich finde das immer ein bisschen schade, wenn jemand mit sich nicht im reinen ist und einen Konflikt mit seiner Neigung hat.

Hast du dann ein schlechtes Gewissen, dass du quasi diesen Konflikt unterstützt?

Nein. Das lasse ich bei der Person, denn das ist echt nicht mein Problem. Letztendlich arbeite ich dann auch mal für Geld. Ich mache ja auch Sessions, die ich langweilig finde. Dann verdiene ich halt. Das finde ich nicht schlimm.

Was ist Erfolg für dich?

Wenn ich von meinem Job gut leben kann und ich eine gute Work-Life-Balance habe. Und wenn ich außer meinem Job noch andere Dinge in meinem Leben habe.

Wie würde dein Leben heute aussehen, wenn du Physikerin geworden wärst und ein ganz normales Leben führen würdest?

Früher oder später hätte mich das auch in die Selbstständigkeit geführt. Vielleicht hätte ich ein Startup oder ich würde kreativ arbeiten. Das ist mein Kern und so empfinde ich auch die Sexarbeit. Und was das völlig normale Leben angeht: In meinen Augen führe ich ein ganz normales Leben. Es ist für mich immer total interessant, hin und wieder mal eine Außensicht geschildert zu kriegen. Deine Fragen zeigen mir dein Normal und das Normal der „normalen“ Leute auf. Und das erdet mich dann auch irgendwie.

Kontakt zu Undine de Rivière: Bizarrlady Undine

Text: Julia Kottkamp
Fotos: Stefan Roehl

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Julia Kottkamp Gründerin und Autorin Julia Kottkamp

Julia hat Journalistik studiert und arbeitet freiberuflich als Kommunikationsberaterin und Sparringspartner in Organisationsentwicklungsprozessen. In ihrer Arbeit geht es immer um das Gespräch mit Menschen. Zuhören, verstehen und daraus Kommunikation für Klarheit entwickeln.

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Stefan Roehl Fotografie Stefan Roehl

Stefan ist selbstständig als Fotograf. Er fotografiert Reportagen u.a. für Kundenmagazine und liebt als großer Musikfanatiker Künstlerportraits. Er mag es, unter Menschen zu sein und zu quatschen.

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10 Kommentare

  1. 26. November 2016 BerndF sagt:

    Herausragendes Interview. Es entlarvt die krampfhafte Ignoranz und Selbstgerechtigkeit all derer, die versuchen, ihrer persönlichen Prüderie (Selbsthass?) oder zweckopportunistischen Selbstdarstellung als Politiker zum Erfolg zu verhelfen.

    Vielleicht handelt es aber auch einfach nur um Dummheit.

  2. 15. Juni 2017 Karl sagt:

    Ich glaube Sie lügen. Zumindest ein bischen und oder manchmal. Stimmt das?

    1. Lieber Karl,

      ich verstehe deinen Kommentar nicht richtig, würde es aber gerne.

      Was genau meinst du? Wer lügt und warum?

      Viele Grüße
      Julia

  3. Nach dreieinhalb gelesenen Interviews muss ich hier nun mittendrin abbrechen – die unreflektierte Dämlichkeit der Fragen ist für mich nun nicht mehr zu ertragen. Sehr schade angesichts dem spannenden Format.

    1. Liebe Bella,
      was hättest du gefragt? Was kann an einer Frage unreflektiert sein, sie ist doch nur eine Frage? Und was gefällt dir an dem Format, wenn es die Fragen nicht sind?
      Wie auch immer: Auch der Genitiv ist nicht jedermanns Sache.
      Viele Grüße,
      Julia

  4. 25. Juni 2018 Hartmut sagt:

    Hallo Frau Kottkamp,

    gutes Interview, schön bebildert. Ich war schon bei vielen „Erzieherinnen“ (dieser Sprachgebrauch weist unzweifelhaft auf meine Vorlieben hin). Ich kenne die Situation gerade bei der ersten Zusammenkunft, und weiß, wie schwer es sein kann, in das Kopfkino des Kunden einzutauchen. Das hat die Dame offenbar gut drauf.
    Danke,

    Hartmut

    1. Danke für Ihren Kommentar!

  5. Vielen Dank für dieses Interview.
    Ich versuche zur Zeit, mich über Prostitution in allen ihren Facetten zu informieren und eine Haltung dazu zu finden, insbesondere zu der Frage, ob es richtig sein kann, den Körper eines Menschen und die Verfügungsgewalt über ihn mit Geld zu erkaufen.
    Ich finde es interessant, wie de Rivière als absolut priviligierte Sexarbeiterin von dem Klischee der ausgebeuteten Sexarbeiterin spricht und behauptet, dieses treffe „in den allermeisten Fällen nicht zu“.
    Bei meinen Recherchen bin ich mittlerweile auf wesentlich mehr Berichte von Prostituierten gestoßen, denen es in ihrem Job nicht gutgeht, und die auch nicht allzuviel Geld damit verdienen, obwohl sie täglich Kunden empfangen als auf Berichte solcher Prostituierten wie Frau de Rivière.
    Viele Sexarbeiterinnen erzählen in ihren Biografien von sexuellem Mißbrauch, Gewalterfahrungen und Lieblosigkeit in der Kindheit, viele sind traumatisiert. Dazu gibt es dezidierte Forschungsergebnisse.
    Es mag privilgierte und psychisch stabile Sexarbeiterinnen geben, die eine gute Work-Life-Balnce hinbekommen und sogar ein erfüllendes Privatleben haben, aber das ist eine Minderheit.
    Ist man sowieso schon sozial eher unterpriviligiert, und dann auch noch psychisch verletzt, führt die Prostitution meistens in die persönliche Hölle von Re-Traumatisierung, Sucht und Abhängigkeit. Menschen, die in der Kindheit keinen Schutz erfahren haben, können sich nicht selber schützen und lassen zu, dass ihre Grenzen immer wieder übertreten werden. Ihre Erlebnisse bewältigen sie mit Dissoziation und oft mit Drogen.
    Ich habe viele Berichte von Frauen gelesen, denen es keinen Spaß macht und die wissen, dass sie langsam vor die Hunde gehen, aber die nicht herauskommen aus dem Milieu.
    Das Augenmerk zu richten auf Zwangsprostitution von Migrantinnen, hat auch nichts mit Rassismus und Angst vor dem Fremden zu tun, sondern damit, seine Augen nicht zu verschließen vor den realen Zuständen in „normalen“ Laufhäusern und Bordellen.
    Dort arbeiten zumindest kaum noch deutsche Frauen; und das Elend auf dem Drogenstrich findet auch keine Erwähnung.
    Prostitution ist ein weites Feld und findet eben nicht nur im selbstbestimmten, priviligierten Rahmen für den Mann mit ordentlich Geld statt.

    Ebenso wenig, wie es ausschließlich Zwangsprostituierte und Sexarbeiterinnen gibt, denen es sowohl psychisch als auch körperlich schlecht geht, gibt es aber vor allem selbstbestimmte, toughe Dominas. Letzte Gruppe sind in Wahrheit die absolute Minderheit.
    Was die Freier angeht, kann man diese natürlich auch nicht über einen Kamm scheren; doch die Selbstverständlichkeit vieler Männer, sich gegen Geld eine Frau zu kaufen, und die Art und Weise, wie beispielsweise in Freierforen über die Ware Frau gesprochen wird, halte ich für sehr bedenklich.
    Das hat nichts mit Prüderie zu tun, sondern mit meiner Vorstellung von Menschenwürde.
    Meines Erachtens sollte so mancher Freier bessser einen Gang zum Psychtherapeuten antreten, statt seine inneren Dämonen mit übersteigertem Sexleben in den Griff zu bekommen zu versuchen. Das ist eine unselige Flucht, die zu vielen weiteren Verletzungen führt statt zu einer Heilung.

    1. Danke für deinen ausführlichen Kommentar und deinen Blick auf das Thema.

  6. 20. April 2019 Georg sagt:

    Vielen Dank für dieses Interview,
    das Thema beschäftigt die Menschen seit es uns gibt. Es war interessant zu lesen, wie es aus einer priviligierten Sicht, sicherlich auch aus einer hart erarbeiteten Situation von Frau de Rivière gesehen wird. Sie hat meinen Respekt, vor allem wenn sie diese Selbstsicht über die Jahre weiter behält. Sie muss sich sehr gut kennen. Auch die Wortwahl und der Ausdruck auf beiden Seiten des Schreibblocks, des Mikro haben mir gefallen. Manche Themen in der menschlichen Zivilisation sind nicht unbedingt Leuchttürme. Sie sprechen für sich durch Menschen wie Sie.
    Georg

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