Friseur Johannes Simmet

Die Leute erwarten doch gar nichts anderes von mir, oder?

Friseur Johannes Simmet
Johannes schminkt Kundin

Johannes Simmet ist Friseur und träumt von einem eigenen Porsche noch vor seinem 40. Geburtstag. Bis dahin sind aber Haare sein Ein und Alles. Obwohl seine eigenen ziemlich kurz sind. Aber Männer und Frisuren, das sei sowieso speziell. Männer und Friseure auch. Ein Gespräch über heulende Bräutigame, Alltagspsychologie zwischen Gala und Kaffee und den Umgang mit einem Klischee.

Ich wollte schon immer mal von einem Friseur wissen, warum die so gerne Haare abschneiden. Jedes Mal sitze ich bei meiner Friseurin und sehe meine Haare auf dem Umhang und zittere innerlich.

Ja, ich schneide auch gerne viel ab. Ganz ehrlich: Ich liebe es Haare abzuschneiden.

Aber warum macht ihr das? Ihr macht euch doch euer eigenes Geschäft kaputt? Würdet ihr 1 cm mehr stehen lassen, würde ich doch viel häufiger kommen.

Ich denke das mit dem Abschneiden hat was damit zu tun, dass je mehr man abschneidet, desto größer ist die Veränderung und desto kreativer kann man dann auch arbeiten. Veränderung ist in meinen Augen immer etwas Gutes.

Sehen deine Kunden das auch so? Wie mutig sind die, wenn sie dich mit der Schere sehen?

Das schwankt ziemlich. Frauen sind natürlich deutlich mutiger als Männer. Männer wollen immer das Gleiche, da ist man deutlich eingeschränkter. Frauen sind dagegen sehr experimentierfreudig. Aber sie müssen dir vertrauen. Ich höre oft den Satz „Also wenn du das toll findest, machen wir das jetzt mal.“ Vertrauen ist der wichtigste Baustein, um beim Friseur mutig zu sein. Aber dann klappt das auch.

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Was war das längste Haar, das du jemals abgeschnitten hast?

Das war eine Kundin, die hatte schöne lange Haare, so 50-60 cm. Mega lang. Die kam rein und wollte eigentlich nur Spitzen schneiden. Und dann habe ich gesagt: „Lass uns doch mal was ausprobieren.“ – Sie fragte: „Ja, was denn?“ – Und ich: „Pixi“. – Und sie: „OK“. Am Ende hatte sie einen 3 cm Pixi und es sah einfach perfekt aus.

Wie sicher warst du, dass es funktioniert?

Also ehrlich gesagt musste ich nach ihrem „OK“ erstmal schlucken und dachte: „Oh mein Gott, was tue ich hier?“ Aber ja, ich war sicher, dass es funktioniert. Das spürst du einfach. Das ist so ein Bauchgefühl. Das brauchst du als guter Friseur. Das muss passen. Ich habe auch ganz viele Kundinnen, die sagen, sie hätten mal gerne einen Pony oder kurze Haare. Und manchmal sage ich dann einfach: „Ja, glaube ich dir, aber die Zeit ist noch nicht reif dafür“. Das klingt sehr hochtrabend aber is so. Und dann kommen die irgendwann wieder rein und sagen, „So aber jetzt!“ Und dann spürst du, dass es jetzt einfach passt.

Hast du auch schon mal Tränen erlebt?

Ja, aber nur bei einem Kind. Das Mädel war vielleicht 8 Jahre alt, aber ich sage dir, das war mir eine Lehre. Die Mutter wollte deutlich mehr abschneiden als das Kind. Also haben wir dem Kind 2 cm gezeigt und ich habe 10 cm abgeschnitten. Tja, das hat die Keine natürlich mitgekriegt. Das war ganz schlimm. Tränen gibt es hier aber normalerweise eher in Form von Freudentränen. Zum Beispiel wenn ich eine Braut fertig mache.

Weint dann eher die Braut oder der Bräutigam?

Ach, da habe ich beides schon gesehen. Aber tendenziell heulen eher die Männer. Wenn der Augenblick da ist und die Braut dann komplett hier raus geht, dann sind es eher die Männer, die Tränen in den Augen haben.

Wie sehr bist du in deinem Beruf auch Psychologe?

Das ist ein großer Teil. Ich bin dafür, dass man während der Friseurausbildung ein Fach Psychologie einführen sollte. Das meine ich wirklich ernst. Das Vorurteil, das Friseure auch Psychologen sind, stimmt auf jeden Fall. Man hört schon ganz schön viele Sachen, die Leute sonst wahrscheinlich wirklich nur ihrem Psychologen erzählen würden.

Warum erzählen die Leute diese Geschichten ihrem Friseur?

Ich glaube die Leute haben da ganz verschiedene Beweggründe. Zum einen ist es die Situation. Man ist ja eine Stunde oder länger zusammen und weil ich so eng am Kopf arbeite, ist das auch sehr intim und privat. Und manche Leute wollen gewisse Sachen einfach mal los werden, glaube ich. Und die wissen ja auch ganz genau, dass der Friseur nicht die psychologischen Grundlagen hat, das wirklich durchzuanalysieren. Und andere erhoffen sich Tipps und Lösungsvorschläge, weil viele denken, dass ich viel höre und ich mit Problemen umzugehen weiß. Ein Friseur hat halt immer einen schlauen Spruch auf den Lippen. Ob das immer alles stimmt, sei mal dahin gestellt. Aber viele denken, dass ich echt alles weiß.

Welche Kunden findest du besser? Die, die in der Gala blättern, oder die, die dir ihr Leben vor den Füßen ausbreiten?

Ehrlich gesagt sind mir meistens die lieber, die in der Gala blättern, weil ich mich dann besser auf meine Arbeit konzentrieren kann. Aber letztendlich ist es Tagesform abhängig. Manchmal höre auch ich nicht auf zu reden. Ein guter Friseur muss auf sein Gegenüber eingehen können. Ich muss wissen, ist dem Kunden heute nach reden zu Mute oder nicht. Und man muss sich selber zurück nehmen können. Der Kunde zahlt schließlich dafür, dass er selbst im Vordergrund steht und eben nicht der Friseur.

Ein Haarschnitt bei dir kostet um die 60 €. Was machst du besser als ein 15-€-Friseur?

Also es gibt schon mal besseren Kaffee. Und ich würde sagen, dass das Friseurerlebnis hier einfach ein ganz anderes ist. Das Drumherum muss stimmen, plus Beratung und Zeit, schließlich muss ich hier nicht drei Leute in der Stunde durchschleusen. Also ganz ehrlich, 15-€-Friseur, das scheut den Vergleich.

Was tut man am besten am Bad Hair day?

Am besten nicht zum Friseur kommen. Da kriege ich dann meistens auch nichts hin. Manchmal muss man einfach damit leben und es hinnehmen. Und hoffen, dass der Tag schnell vorbei geht.

Wann sind Kunden für dich richtig anstrengend?

Wenn sie etwas wollen, was mit ihren Haaren nicht zu machen ist und sie das nicht einsehen.

Mein kleiner Bruder ist einmal, als er 8 Jahre alt war, mit einem Foto von Richard Gere zum Friseur gegangen und hat gesagt, er möchte so aussehen.

Ja, sehr geil… So ungefähr. Aber du weißt was ich meine, oder? Also Haarfülle und Haarstruktur und die Haarqualität das passt halt einfach nicht immer zur Wunschfrisur. Also, wenn jetzt ein Mann kommt und der hat ne hohe Stirn und dann will der aber nen Undercut haben, dann ist das einfach ungünstig. Diesen Leuten das beizubringen, ist echt anstrengend, weil es die Leute enttäuscht.

Wenn ich hier rein käme und sagen würde, „Ich will ne Glatze“, würdest du das machen?

Für Geld würde ich alles machen. Ja klar…

Aber gibt es etwas, was du auf keinen Fall tun würdest?

Also bei chemischen Eingriffen – Dauerwelle, Farbe usw. – muss ich meine Entscheidung fachlich vertreten können, denn ich muss ja garantieren, dass die Haare hinterher noch dran sind. Wenn ich weiß, dass das scheiße aussieht, aber wenn ich gleichzeitig sehen würde, dass die Haare das aushalten, dann würde ich eine Frisur natürlich auch gegen meinen Geschmack machen. Ja, klar. Sollst du haben, wenn du unbedingt willst.

Warum bist du Friseur geworden?

Mein Wunsch war es immer, Maskenbildner zu werden. Und dafür musste man früher erst Friseur lernen. Ich komme aus einem schwäbischen Dorf. Da gab es nur Oma-Friseure. Deswegen bin ich mit 18 nach Berlin gegangen und habe dort in einem Laden sehr viel gelernt. Und dann habe ich in der Ausbildung festgestellt, dass Haare voll mein Ding sind und ich das alles ganz toll finde.

Viele Leute finden Haare von anderen Menschen total ekelig. Was findest du so toll daran?

Ich weiß es nicht. Ich fasse einfach gerne Haare an. Das ist so. Und ich finde das verändern von Menschen – sei es in Schnitt oder Farbe – einfach großartig.

Kommt da auch ein bisschen Eitelkeit durch? Es ist ja irgendwie auch ein schöpferischer Akt, denn du legst Leuten ja deine Note auf.

Ich glaube da ist was dran. Es ist einfach ein Gesamtwerk. Wenn Kunden über Jahre kommen und ihre Haare nach meinen Tipps pflegen und fönen, dann haben die nach einer gewissen Zeit einfach tolle Haare. Und das hat dann definitiv was mit einer persönlichen Note von mir zu tun. Besonders deutlich wird das auch, wenn dann noch Makeup dazu kommt. Ich habe ja nach der Ausbildung zum Friseur noch Maskenbildner gelernt. Das ist für mich dann einfach die perfekte Mischung.

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Wie ist das als Mann, so einen Job zu machen? Entspricht das einer Männlichkeitsnorm oder ist das komisch?

Naja, also es ist ja schon so ein Schwulenberuf. Das Vorurteil stimmt auf jeden Fall. Der Beruf des Friseurs hat schon etwas sehr Weiches. Aber zu mir passt super – ich bin nun mal so.

Fängst du dir oft Sprüche, gerade weil du schwul bist?

Du meinst sowas wie: „Das passt!“. Manchmal denke ich, dass die Leute doch gar nichts anderes von mir erwarten.

Was bedeutet für dich Erfolg?

Beruflicher Erfolg bedeutet für mich, dass ich mir das Leben leisten kann, das ich führen möchte. Aber natürlich strebe ich auch nach gesellschaftlicher Anerkennung mit dem, was ich mache. Also wenn ich hier meinen Laden aufmache und der kommt einfach super an und du weißt gar nicht, wann du die ganzen Leute bedienen sollst, dann ist das natürlich toll. Und Erfolg ist für mich auch, wenn ich mir die Entwicklung meiner Auszubildenden angucken kann. Aber dass ich mir finanziell was leisten kann, ist für mich der größte Erfolg. So mit 40 nen Porsche. Sowas… yes!

Findest du es eigentlich manchmal schade, dass du nicht so lange Haare hast?

Ne, ich fand schon immer kurze Haare toll. Ich wäre total faul, was meine eigenen Haare angeht. Da lasse ich es besser so.

Kontakt zu Johannes Simmet: www.elbschoen.de

Text: Julia Kottkamp
Fotos: Romy Geßner

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Julia Kottkamp Gründerin und Autorin Julia Kottkamp

Julia hat Journalistik studiert und arbeitet freiberuflich als Kommunikationsberaterin und Sparringspartner in Organisationsentwicklungsprozessen. In ihrer Arbeit geht es immer um das Gespräch mit Menschen. Zuhören, verstehen und daraus Kommunikation für Klarheit entwickeln.

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Romy Geßner Fotografie Romy Geßner

Romy ist freiberufliche Fotografin und Diplom-Übersetzerin. Ihre große Leidenschaft sind Bilder von Menschen in ihrer Arbeitsumgebung. Sie steht für authentische Portrait- und Businessfotografie und sie liebt Reportagen.

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2 Kommentare

  1. Sehr interessanter Artikel, wie lange ist er denn schon als Friseur tätig?

    1. Danke, für das Feedback. Ich kann mich gerade nicht mehr genau erinnert, seit wann Johannes als Friseur arbeitet. Ich habe so grob 15 Jahre im Kopf. Wenn dich das ganz doll interessiert, kann ich noch mal genau nachfragen. LG Julia

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