Romy Geßner ist Fotografin für Portrait- und Businessfotografie. Außerdem hat sie gemeinsam mit Julia 40 Stunden im Sommer 2015 gegründet. Ein Gespräch über den Sinn der Fotografie, die Suche nach dem eigenen Job und die Kamera als Mittel zum Zweck.
Ich finde es sehr schwierig, Menschen zu interviewen, die ich sehr gut kenne. Ich habe dann einfach das Gefühl, dass ich schon so viel über mein Gegenüber weiß. Romy, welches Geheimnis hast du noch vor mir?
Ich glaube, du weißt nicht, wie unordentlich ich eigentlich bin. Also ich liebe die Ordnung. Ich liebe meine Wohnung, wenn sie ordentlich ist. Aber nach zwei Tagen frage ich mich immer wieder, welche Wichtel da nachts die ganzen Zimmer verwüstet haben.
Das wusste ich wirklich nicht. Ich dachte, du wärst sehr ordentlich.
Ich bin auch eigentlich ordentlich, aber die Kreativität in mir schafft es nicht, die Ordnung zu bewahren. Wenn ich dann aber Ordnung im Kopf brauche, muss ich erstmal aufräumen.
Deine Kreativität steckst du vor allem in deine Fotografie. Ich frage mich bei Fotos immer: Warum will man die Welt eigentlich festhalten – sie quasi zum Stillstehen zwingen, was total unrealistisch ist.
Da gibt es unterschiedliche Dimensionen. Im familiären Bereich wie bei Hochzeiten zum Beispiel, da möchte man einfach Momente einfangen und für die Ewigkeit festhalten. Wenn man Eltern wird, will man die Entwicklung von so einem kleinen Wesen dokumentieren. Im beruflichen Umfeld macht man Bilder von sich, um darzustellen, wer man ist. Und wenn ich Reportage-Fotos mache, haben andere Menschen die Möglichkeit, die Welt durch meine Augen – meine Kamera – mitzuerleben. Und bei alldem, gibt es dann einfach die Momente, die man dann eben doch nicht festhalten kann.
Welche sind das für dich?
Ich glaube, dass sind Momente zwischen Menschen. Gefühle lassen sich nicht wirklich abbilden. Also, den Sonnengang kann ich festhalten, aber ich kann nicht einfangen, wie ich mich dabei fühle, wenn noch jemand neben mir sitzt.
Stört dich das als Fotografin, nicht „alles“ einfangen zu können?
Es gibt Momente, wo es mir durchaus in den Fingern kribbelt. Allerdings weiß ich dann oft auch, dass ich die Kamera jetzt weglassen muss, um einfach nur den Moment zu genießen. Denn es kann dir auch passieren, dass ein Moment vergeht, bis die Kamera da ist. Insofern finde ich es nicht schlimm, nicht alles festhalten zu können. Und ich glaube, dass es vielen Menschen ganz gut tun würde, öfter mal nicht durch die Kamera zu leben – ohne Selfies, Instagram und Co.
Warum wolltest du Fotografin werden?
Bilder haben mich schon immer fasziniert. Immer wenn ich im Kino sitze, spüre ich den ganz starken Wunsch in mir, Menschen über Bilder etwas fühlen zu lassen – durch ein Bild einen besonderen Moment zu kreieren. Aber das ist natürlich eine große und schwierige Aufgabe. Nach der Schule meinten meine Eltern dann klassisch: „Kind, lern was Anständiges.“ Naja und so wurde ich Übersetzerin. Irgendwann habe ich mich damit selbstständig gemacht und ich schaffte mir privat eine Kamera an. Und dann hat sich die Fotografie in mein Leben reingekämpft. Jetzt mache ich beide Jobs – übersetzen und fotografieren. Eine Zeitlang habe ich sehr damit gehadert, mich nicht entscheiden zu können. Aber mittlerweile kann ich akzeptieren, dass ich einfach viele Interessen habe und denen nachgehe. Und durch den Blick durch die Kamera kann ich in ganz viele Berufe eintauchen und kann darüber wahnsinnig viel miterleben. Das ersetzt sozusagen die 50 Leben, die ich bräuchte, um all meinen Interessen hinterherzujagen.
Wenn ich an dich denke, dann denke ich auch an jemanden, der mir glaubhaft vermittelt, dass er seinen Job liebt. Woher kommt diese Liebe?
Woher sie kommt, weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass es Leute gibt, die diese Liebe einfach nicht spüren. Die machen einen Job, gehen da hin, verdienen ihr Geld und gehen wieder nach Hause. Deren Leidenschaft liegt dann im Privaten. Bei mir ist das anders. Und als Selbstständige glaube ich auch daran, dass du den Preis auch nur zahlen kannst, wenn du die Sache liebst, die du da tust. Die Leute sagen zu mir: „Ach toll, du hast dein Hobby zum Beruf gemacht.“ Ja, klingt mega geil. Aber ich zahle einen verdammt hohen Preis dafür.
Ich glaube, alle Selbstständigen wissen, welchen Preis du da meinst: Existenzängste, Zweifel, Unsicherheit, hohe Ansprüche an sich selber. Man geht an Grenzen.
Und darüber hinaus. Konkurrenz spielt auch eine große Rolle. Aber: „No one is you and that is your power.“ Da muss ich immer wieder dran denken. Es gibt eine Million Fotografen und Zahnärzte und Coaches. Aber keiner macht es so wie du. Und das ist das Besondere.
Gibt es ein Bild, auf das du besonders stolz bist?
Nicht wirklich. Es gibt eins, das ich besonders schön finde. Ich hab in Portugal am Atlantik gesessen und eine Welle aufgenommen, die hängt jetzt in meinem Schlafzimmer – und in deinem auch.
Hä? Das wusste ich gar nicht, dass du das Bild auch in deinem Schlafzimmer hängen hast.
Doch, doch. Ich liebe das Bild.
Ja, ich ja auch.
Man sieht eine Welle, die genau in dem Moment bricht, in dem ich abdrücke. Ich kann das Bild stundenlang angucken und höre noch immer das Meer rauschen. Das Bild zeigt einfach diese wunderschöne Welle in genau dem Moment, in dem sie bricht. Es zeigt ihren schönsten Moment und gleichzeitig auch ihre Zerstörung.
Was ist Erfolg für dich?
Fotografisch empfinde ich es als großen Erfolg, wenn mir Leute sagen: „Genau so bin ich. Du hast mich total getroffen.“ Ich strebe da nach Natürlichkeit. Und beruflicher Erfolg zeigt sich, wenn ich von dem, was ich tue, leben kann. Außerdem finde ich es wichtig, Dingen nachgehen zu können, wenn sich etwas verändert. Also es war für mich auch ein Erfolg, durch meine Selbstständigkeit als Übersetzerin der Fotografie Raum in meinem Leben geben zu können.
Wir haben 40 Stunden im Sommer 2015 zusammen gegründet. 2016 bist du dann im Sommer ausgestiegen. Was war für dich dein 40-Stunden-Moment?
Das war die Reportage vom Kuhhof bei der Melkerin. Ich war zehn Stunden auf dem Hof. Kühe sind tolle Tiere, aber wenn 20 Stück auf dich zugelaufen kommen, dann bekommst du es mit der Angst zu tun und hoffst, dass sie rechtzeitig stehen bleiben. An dem Tag wurde außerdem ein Kälbchen geboren. Das war sehr beeindruckend. Und daneben siehst du dann den Melkstand, durch den die Tiere durchgeheizt werden, damit wir für einen Euro Milch kaufen können. Es hat mir großen Spaß gemacht, die Gegensätze zu sehen und sie mit der Kamera einzufangen.
Welches war dein Lieblingsinterview?
Ein wirkliches Lieblingsinterview habe ich nicht. Aber eins unserer ersten war das mit der Bestatterin. Das war zutiefst beeindruckend und es bewegt mich immer noch.
Was hat 40 Stunden für dich besonders gemacht und was macht es nach wie vor besonders?
40 Stunden ist für mich eine sehr intensive Zeit gewesen. Am Anfang kamst du mit: „Hey, ich habe ne‘ Idee, mache die Interviews, willst du Fotos machen?“ Aber als wir gesehen haben, wie viel Arbeit das ist, haben wir uns natürlich auch Gedanken gemacht, wie und ob wir mit 40 Stunden Geld verdienen können. Wir haben da sehr viel miteinander gearbeitet und das war nicht immer Friede-Freude-Eierkuchen. Und die andere Seite war ganz einfach, dass wir uns unglaublich gefreut haben, wenn wieder ein tolles neues Interview online ging. An 40 Stunden finde ich immer noch mega, dass man durchs Schlüsselloch gucken kann. Was ist Klischee, was ist echt? Ich hätte da gefühlt noch eine Liste mit 500 Berufen, bei denen ich gerne hinter die Kulissen blicken würde. Ich sag ja: 50 Leben.
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