Postbotin Helga Weill

Von hundert Tagen gehe ich mindestens 99 gerne zur Arbeit.

Postbotin Helga Weill
40 Stunden -Frau Weill sortiert Briefe

Helga Weill ist Postbotin – heute. Ursprünglich wollte sie mal Krankenschwester werden, das klappte aber nicht und sie fing in einer Wurstfabrik an. Ein Gespräch über verschnörkelte Lebensläufe, die Romantik der Postkarte und geklaute Postfahrräder.

Als Postbotin – wie ist da Ihr Verhältnis zur E-Mail?

Privat finde ich sie gut. Beruflich hat es natürlich einige Einbußen gegeben. Aber eigentlich stehe ich der E-Mail sehr positiv gegenüber. Aber es kommt zu viel Werbung an.

Werden Sie wegen der E-Mail und der Digitalisierung irgendwann arbeitslos?

Nein, das glaube ich nicht. Briefe werden immer verschickt, weil man gar nicht alles mit E-Mails machen kann. Ich bin mir sicher, dass ich bis zur Rente hier bleibe.

Sind Briefe die romantischen Relikte einer alten Welt?

Ja, ich glaube schon. Auf jeden Fall mal die Postkarte. Und auch die Weihnachtspost.
Einen Brief zu schreiben, ist einfach sehr viel persönlicher als eine E-Mail oder SMS oder WhatsApp. Die ganz Jungen unter uns denken vielleicht etwas anderes. Aber meine Generation sieht das so – mit Sicherheit.

Wenn Sie dann diese ganzen Briefe in Ihrem Fahrrad ausfahren, denken Sie darüber nach, wie viele Geschichten Sie da rum fahren? Sie fahren Liebesbriefe, Totenbriefe, Gerichtsbescheide, Mahnungen, Rechnungen…

An die Geschichten denke ich nur, wenn jemand gestorben ist und ich einen Bezug zu dem Kunden hatte. Manchmal kannte man sich, weil man mal zwei drei Worte gewechselt hatte. Dann merkt man das und denkt: „Oh, Scheiße.“ Aber ansonsten denke ich nicht über die Geschichten nach. Die Zeit habe ich gar nicht. Ich glaube ich wäre fehl am Platz, wenn ich mir da große Gedanken machen würde.

Ich bin ein Kind vom Lande – zu Hause schubste der Postbote die Briefe direkt durch die Haustür, die einen Briefkastenschlitz hat. Als ich dann nach Hamburg gezogen bin, fragte ich mich, wie die Postboten an die Briefkästen kommen, die im Haus hängen. Und dann sah ich die riesigen Schlüsselbunde, die sie mitschleppen. Woher wissen Sie, welcher Schlüssel in welches Schloss passt?

Ich habe zum Glück nicht so viele, da kann ich mir das merken. Man muss sich da schon ein bisschen kümmern, damit der Schlüsselbund nicht verloren geht. Denn dann muss man viel telefonieren, damit man die Schlüssel nachbekommt. Aber die Vermieter geben die eigentlich ohne Probleme raus, weil ja auch alle ihre Post bekommen wollen. Und überall klingeln würde einfach zu lange dauern.

40 Stunden - Frau Weill schließt Tür auf

Und wie oft gibt es noch den Schnack auf der Straße?

Weniger. Das ist eher die Ausnahme.

Weil Sie keine Zeit dafür haben oder weil die Menschen doof sind?

Teils, teils. Doof würde ich aber nicht sagen. Aber wir leben schon in einer Zeit, in der man einfach keine Zeit mehr hat und in der die Leute viel gehetzt sind. Sicherlich habe ich ein, zwei Kunden, mit denen ich auch mal rede – gerade auch bei den Firmen. Aber in den Häusern echt weniger. Und dann kommt noch dazu, dass ich ganz froh bin, wenn ich mit meinen Zustellungen schnell durch bin. So lange ich körperlich noch so fit bin, kann ich auch schnell machen und schnell zu Hause sein. Ich habe nämlich ein schönes Zuhause. In fünf Jahren brauche ich dann aber sicher zwei Stunden länger.

Das heißt Sie arbeiten nicht acht Stunden am Tag, sondern Sie arbeiten, bis alle Briefe ausgetragen sind?

Ja. Wir haben eine vorgegebene Zeit und in der Zeit sollte man das geschafft haben. Aber die Zeit brauche ich in der Regel nicht. Wer schnell arbeitet, ist schnell fertig. Ganz einfach.

Gab es nicht mal einen Skandal, wo Postboten Briefe weggeschmissen haben? Das verstehe ich jetzt besser…

Man hat immer schwarze Schafe dazwischen – wie in jedem Beruf. Aber mir würde das nicht in den Sinn kommen, Briefe wegzuschmeißen, um schneller Feierabend zu haben. Was würde mir das denn bringen?

Warum sind Sie Postbotin geworden?

Ich bin Quereinsteigerin. Ich habe meinen alten Job gekündigt und meine ehemalige Schwägerin war hier bei der Post und hat mir davon erzählt. Ich hatte dann ein Vorstellungsgespräch und das hat auch sofort geklappt.

War das ein Job zum Geldverdienen oder wollten Sie ganz gerne Post zustellen?

In erste Linie war das ein Job zum Geldverdienen. Und ich hatte von meiner Kollegin immer gehört, wie früh sie mit der Arbeit fertig ist. Das waren aber auch noch Zeiten als die Post staatlich war. Seit der Gründung der AG ist das ein bisschen anders geworden.

Was haben Sie ursprünglich gelernt?

Ich habe gar nichts gelernt. Das was ich lernen wollte, habe ich nicht bekommen. Ich wollte Krankenschwester werden, habe aber keine Ausbildungsstelle bekommen. Und dann habe ich gedacht, dass ich was anderes aber nicht lernen möchte. Und dann habe ich in einer Wurstfabrik gearbeitet – das passte ja nun gar nicht zusammen. Ich dachte, dass ich da alt werde, weil es ein echt schönes Arbeiten war. Aber dann wurde das Unternehmen verkauft und ich hätte nach Elmshorn ziehen müssen. Das wollte ich nicht. Und so kam ich dann zur Post und ich bin wirklich gerne hier.

Was ist das Tolle an dem Beruf?

Dass man selbstständig arbeitet. Dass man von morgens, wenn man anfängt, bis abends, wenn man Feierabend hat, niemanden im Rücken sitzen hat, der sagt, was man noch alles erledigen muss. So jemanden brauche ich nicht, weil ich das alles selber weiß. Ich kenne mein Pensum und ich weiß, was ich fertig kriegen muss. Und wenn ich fertig bin, dann habe ich auch Feierabend. Und ich finde es schön, wenn du morgens zur Arbeit kommst und du kannst mit deinen Kollegen lachen. Herzhaft lachen – das ist super. Ein Tag ohne Lachen ist ein verlorener Tag. Ich mag meine Kollegen und meine Gruppe und ich freue mich, die zu sehen – auch privat. Da ist keiner ein Muffkopp. Von hundert Tagen gehe ich echt mindestens 99 Tage gerne hier hin. Ich mag die Arbeit unheimlich. Das klingt abgedroschen – ist aber so.

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Wer entscheidet, ob Sie zu Fuß gehen oder ein Fahrrad kriegen? Gibt’s da einen Kampf zwischen den Kollegen und ist man cooler auf dem Fahrrad?

In der Regel haben alle ein Fahrrad.

Und hat auch jeder so ein geiles Elektrobike? Gestern stand ich neben einer Postbotin an der Ampel und bei grün ist die abgegangen wie Schmitz Katze.

Es wird immer mehr, dass die Zusteller E-Bikes bekommen. Das ist natürlich sehr kostenintensiv aber eine immense Erleichterung. Wenn dein Fahrrad voll beladen ist und du einen weiten Weg zum ersten Haus hast, dann bist du am Anfang schon direkt kaputt. Jeder, der ein E-Bike hat, wird es nie wieder weg geben. Besonders ein E-Trike, diese Dreiräder. Die haben richtig Bums.

Waren Sie auch so ein Kind, das bei Wind und Wetter von den Eltern mit dem Fahrrad zur Schule geschickt wurde und jetzt macht Ihnen das hanseatische Wetter gar nichts mehr aus?

Nein. Meine Schule war dicht dran und ich bin immer zu Fuß gegangen. Aber ich bin das Wetter gewöhnt. Ich lebe seit fünfzig Jahren in Hamburg. Ich bin hier geboren. Sicherlich ist das nicht so schön, wenn es doll regnet – das hat keiner gerne. Aber Glätte ist echt das Schlimmste an dem Job.

Wie oft gibt es Fahrradunfälle?

Hatte ich noch nie.

Und wie oft werden Fahrräder geklaut – von mir sind schon drei Stück weg.

Das habe ich zum Glück auch noch nie gehabt. Gedacht habe ich das aber schon oft: „Helga, stell dir mal vor, du kommst aus dem Haus raus und dein Fahrrad ist weg.“ Da würde man erstmal ziemlich blöd aus der Wäsche gucken. Einmal war der Wind ganz extrem und dann ist mein Fahrrad von alleine weg gefahren und stand drüben auf der anderen Straßenseite. Da ist mir echt alles aus dem Gesicht gefallen. Deswegen möchte ich gar nicht wissen, was ich denken würde, wenn das Fahrrad komplett weg wäre. Es würde auf jeden Fall niemand auf der Straße was sagen. Man sieht oft Kollegen, ohne die Dienstkleidung. Das geklaute Rad würde echt niemandem auffallen.

Romy und ich sind ja nun Menschen, die im kreativen Bereich arbeiten. Und hin und wieder sitzt man da am Schreibtisch und macht sich Gedanken über seinen eigenen Stil und wo der Weg wohl so hin gehen mag – gerade auch als Selbstständige. Wenn man so wie Sie einen Beruf hat, der – mit allem Respekt – doch sehr stark durchreglementiert ist, macht man sich da auch Gedanken über so was?

Nein. Man macht sein Ding und das macht man tagtäglich.

Ist das schlimm?

Nö, der Mensch ist ein Gewohnheitstier.

Was passiert eigentlich wirklich, wenn der Postmann drei Mal klingelt?

Puh, das ist doch ein Film. Ich habe keine Ahnung. Ich habe den nicht gesehen. Und ich klingele auch nur einmal, vielleicht zwei Mal. Aber auf keinen Fall drei Mal.

Was bedeutet Erfolg für Sie?

Erfolg ist für mich, wenn ich mein Leben so gestalten kann, dass ich zufrieden bin. Dass ich jetzt nicht sparen muss – beziehungsweise nur ein bisschen. Dass ich mir ein bisschen Luxus leisten kann, zum Beispiel in den Urlaub zu fahren. Das ist für mich Erfolg.

In Ihrem nächsten Leben: Welchen Job machen Sie dann? Nehmen Sie dann noch mal Anlauf auf die Krankenschwesterlehre?

Nein. Man sagt ja immer, man würde alles anders machen – aber ich würde im Großen und Ganzen nichts anders machen. Ich bin einfach so zufrieden mit meinem Leben. Vielleicht würde ich nicht ganz so faul in der Schule sein, obwohl mein Schulabschluss eigentlich nicht schlecht war. Ich würde mir wünschen, ein bisschen kreativer zu sein. Davon habe ich leider überhaupt nichts abbekommen. Und ich finde es ganz toll, wenn jemand kreativ ist.

Was glauben Sie, wann fliegt die Post mit Drohnen an die Haustür?

Da sind die ja schon bei. Aber ich glaube, dass die Post immer auch den Kundenkontakt haben wird. Das war einfach schon immer so und ich kann mir das auch nicht anders vorstellen.

Greift man als Postbotin aus Romantik eher zu Füller und Papier oder schickt man Mails, um den Kollegen Arbeit abzunehmen?

Ich habe schon immer gerne Postkarten und Briefe geschrieben. Und das wird auch immer so bleiben. Ich freue mich auch selber doller darüber. Ich werde das in 20 Jahren noch machen. Und wenn ich dann die Einzige bin.

Kontakt zu Helga Weill: www.deutschepost.de

Text: Julia Kottkamp
Fotos: Romy Geßner

40 Stunden - DHL-Flotte
40 Stunden - Lange Gänge in der Postzentrale
40 Stunden - Kollage Post bereit zur Zustellung - Frau Weill mit ihrem Rad
40 Stunden - Frau Weill bei der Zustellung40 Stunden - Helga Weill - Postbotin

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Julia Kottkamp Gründerin und Autorin Julia Kottkamp

Julia hat Journalistik studiert und arbeitet freiberuflich als Kommunikationsberaterin und Sparringspartner in Organisationsentwicklungsprozessen. In ihrer Arbeit geht es immer um das Gespräch mit Menschen. Zuhören, verstehen und daraus Kommunikation für Klarheit entwickeln.

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Romy Geßner Fotografie Romy Geßner

Romy ist freiberufliche Fotografin und Diplom-Übersetzerin. Ihre große Leidenschaft sind Bilder von Menschen in ihrer Arbeitsumgebung. Sie steht für authentische Portrait- und Businessfotografie und sie liebt Reportagen.

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5 Kommentare

  1. 5. Juli 2016 Kerstin sagt:

    Ein ganz toller Einblick in den Arbeitstag von Frau Weill! Ich habe mich auch gerade bei der Post beworben, hatte zwei Schnuppertage und bin ganz angetan. Jetzt hoffe ich natürlich, dass ich dort anfangen kann und demnächst auch die Post bei uns in der Stadt verteile.

    1. Hallo Kerstin, hat das eigentlich geklappt mit dem Job? Verteilst du jetzt Post? Grüße von Julia

  2. 2. Oktober 2016 Martina Koch sagt:

    Ein guter Artikel, der Mut macht und zeigt, dass es auch mit Brüchen im Lebenslauf zu einer erfüllenden beruflichen Beschäftigung kommen kann.
    Wir sollten solche Beispiele noch öfter zeigen, damit Menschen mit ungewöhnlichen Lebensläufen nicht verzagen.
    Vielen Dank!
    Martina Koch

  3. 9. Februar 2017 Kristina sagt:

    Tolles Interview! Wirklich lesenswert.

    1. Danke, Danke!

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