Melkerin Sonja Evers

Tiere haben ein Wissen, von dem der Mensch gar keine Vorstellung hat.

Melkerin Sonja Evers
Melkerin füttern Kühe

Sonja Evers ist Melkerin auf einem mittelständischen Bauernhof nördlich von Hamburg. Früher war sie Mediengestalterin und Rechtsanwaltsgehilfin. Ein Gespräch über ungewöhnliche Lebensläufe, den Menschen als vermeintliche Krone der Schöpfung und das geheime Wissen der Tiere.

Man sagt ja, dass es Hunde- oder Katzenmenschen gibt. Aber was bewegt einen Menschen, offensichtlich auf Kühe zu stehen?

Also tendenziell bin ich auch eher ein Hundemensch als ein Katzenmensch, wobei ich Katzen auch mag. Aber kaufen würde ich mir keine. Das mit den Kühen war eine besondere Geschichte bei mir. Meine Schwester wusste schon immer, dass sie mal auf einem Bauerhof arbeiten wollte und sie hat schon immer mit verliebten Augen von den Kühen geredet. Ich konnte das erst nachvollziehen, als ich selber angefangen habe, als Melkerin zu arbeiten.

Das heißt, du hast diesen Beruf ergriffen, ohne dass du eine besondere Beziehung zu Kühen hattest?

Ja. Also dieser Berufsweg ist ein wenig aus der Not heraus geboren. Ich habe als Mediengestalterin gearbeitet und hatte von Anfang an immer meinen Hund mit bei der Arbeit. Die Firma ist leider Konkurs gegangen und ich brauchte schnell einen neuen Job, der sich mit meinem Hund verträgt. Einer meiner Kunden lebte auf einem Bauernhof und suchte zu der Zeit jemanden, der beim Melken half. Ich dachte mir, dass ich es nicht wissen kann, wie es dort ist, wenn ich es nicht ausprobiere. Und nun mache ich das seit drei Jahren und bin sehr glücklich.

Was daran macht dich glücklich, den Mac gegen Kühe eingetauscht zu haben?

So genau beschreiben kann ich das nicht. Kühe sind einfach große, warme Tiere, an die man sich auch mal anlehnen kann und die dann sehr viel Halt geben. Und dazu kommt, dass das Arbeiten auf dem Bauernhof sehr familiär ist. Da gibt es jeden Morgen Frühstück und nachmittags Kaffee und Kuchen. Wir melken am Tag 80 bis 90 Kühe, das ist in der heutigen Zeit echt überschaubar. Da gibt es ganz andere Betriebe, wo Akkordarbeit herrscht und 300 bis 350 Kühe am Tag ihre Milch abgeben. Ich glaube, wenn ich in so einem Betrieb wäre, wo alle Persönlichkeit verloren ginge, würde ich den Job nicht aushalten.

Wenn du auf eine Party gehst und erzählst, dass du Melkerin bist, wie reagieren die Leute dann?

Es hat ein bisschen gedauert, bis ich gesagt habe, dass ich Melkerin bin – ich habe mich lange Zeit immer noch als Mediengestalterin vorgestellt. Mittlerweile denke ich aber, dass es mir egal ist, was ich von Beruf bin, so lange ich glücklich bin. Mein Beruf macht ja nicht automatisch einen anderen Menschen aus mir. Ich stehe eben um 5 Uhr auf und fange um halb sechs an zu melken und bin um 8 Uhr fertig. Danach habe ich bis circa 16 Uhr frei und melke dann noch mal bis 19 Uhr. Das ist ein anderer Tagesablauf als früher, der mir aber sehr viel Freiheit gibt.

Wenn du dann über deinen Beruf sprichst: Was verblüfft die Menschen am meisten?

Es geht nicht nur darum, den Kühen Milch abzunehmen – was seit Jahrzehnten hauptsächlich mit Melkmaschinen geschieht. Mein Job hat ganz viel damit zu tun, die Tiere zu beobachten und zu schauen, ob sie gesund sind, wie es um ihre Kondition und Körperhaltung steht. Ich muss sehr schnell erkennen können, ob ein Tier Schmerzen hat. Außerdem muss ich mir die Klauen anschauen und wissen, wann sie geschnitten werden müssen, damit den Tieren die Füße nicht weh tun. Mein persönlicher Anspruch ist es, den Tieren nicht so viel Milch abzunehmen, wie es eben geht sondern ihnen das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Interessanterweise arbeiten hauptsächlich Frauen in diesem Beruf. Ich glaube Frauen haben ein besseres Gespür für die Tiere. Auch wenn das komisch klingen mag, aber auch Frauen geben Milch und die Tragezeit bei Menschen beträgt ebenfalls 9 Monate, wie bei den Kühen.

Das heißt auch, dass heute gar nicht mehr mit der Hand gemolken wird?

Wir melken jede Kuh von Hand an. So sieht man am besten, ob das Euter entzündet ist und ob die Qualität der Milch stimmt. Außerdem wird durch das Anmelken ein Hormon freigesetzt, das dann den Milchfluss zulässt. Nachdem ich dann das Euter gereinigt habe, werden anschließend die Melkgeschirre angesetzt.

40 Stunden - Sonja setzt Melkgeschirr an

Mag die Kuh eigentlich gemolken werden?

Das kann ich nicht beantworten. Ich würde sagen, dass sie es ja nicht anders kennt. Man kann schon beobachten, dass wenn eine Kuh das erste Mal in einen Melkstall kommt, dass sie dann verunsichert ist und auch Angst hat. Sie orientiert sich dann aber recht schnell an den anderen Kühen. Und letztendlich muss eine Kuh gemolken werden, da sie sonst unerträgliche Schmerzen hat.

Das ist sicher so. Aber in der Natur nimmt das Kälbchen die Milch ab.

Nur sind wir von der Natur leider immer weiter entfernt. Unsere Kühe werden mindestens einmal im Jahr besamt, um ein Kälbchen zur Welt zu bringen, um dadurch erst Milch geben zu können, die wir dann melken können. Wenn es diesen Kreislauf nicht gäbe, gäbe es einfach keine Milch mehr.

Im Supermarkt gibt es Milch für 55 Cent und die Biomilch kostet das Doppelte. Früher gingen wir mit der Milchkanne zum Bauern und zahlten eine Mark für einen Liter, wenn ich mich richtig erinnere. Welche Milch soll ich denn heute kaufen, damit noch ein bisschen was für den Bauern hängen bleibt?

Am besten kauft man auch heute noch beim Bauern direkt – aber das ist in der Stadt sicher schwieriger. Fair gehandelte Milch kostet im Handel 1,19 €, davon bekommt der Bauer dann vielleicht 25 oder 30 Cent ab und nicht nur 20 Cent. Was mich immer wundert ist, dass die Leute bereit sind, 2,49 € für eine Dose Red Bull auszugeben, aber für die Milch will keiner was bezahlen.

Am Anfang hast du darüber gesprochen, dass Kühe dir Halt geben und dass sie große, starke Wesen sind. In der heutigen Zeit, mit den schon angesprochenen Produktionsbedingungen von Milch werden die Tiere aber für mein Gefühl immer mehr zu Maschinen. Ist das nicht für dich in deinem Job ein riesiger Widerspruch, einerseits die Tiere zu lieben und sie andererseits in dieser Maschinerie zu halten?

Das ist definitiv nicht jeden Tag gleich einfach. Es gibt tatsächlich manchmal Tage, an denen ich an der ganzen Sache zweifele. Einfach an der Art und Weise, wie wir Menschen mit den Tieren umgehen. Auf der anderen Seite ist es einfach notwendig, denn wir sind so viele Menschen auf der Welt und alle wollen morgens ihre Milch trinken und im Müsli haben, Käse aufs Brot legen und Joghurt essen. Bei uns kommt alle zwei Tage der Milchlaster und holt 4.300 Liter Milch ab – und wir sind nur ein mittelständischer Betrieb, bei den großen ist es mehr als das Doppelte. Keiner möchte auf die Milch verzichten und dann muss sie halt von irgendwoher kommen.

40 Stunden - Kühe fressen im Stall

Aber lässt dich das nie an deinem Job zweifeln?

Nein, nicht zweifeln. Es treibt mich eher dazu an, es dann der Kuh im Rahmen der Möglichkeiten besonders gut gehen zu lassen.

Was glaubst du, wo das mal enden wird?

Ich hoffe, dass wir ein bisschen wieder unsere Menschlichkeit entdecken und mehr auf das Tier achten und weniger auf den Profit. Aber ich weiß, wie fromm dieser Wunsch ist, denn ich weiß auch, was der Bauer mit der Milch verdient und dass das bei weitem seine Kosten nicht deckt. Also müssen mehr Kühe her, die mehr Milch geben. Ich weiß nicht, wie es gehen soll, ich weiß nur, dass ich mir eine Welt wünsche, wo das Tier als Tier und nicht als Produktionsmaschine eine Daseinsberechtigung hat. Ich glaube, dass auch Tiere eine Seele haben.

Bei all diesen schwierigen Randumständen: Was bedeutet Erfolg für dich?

Für mich ist es Erfolg, wenn ich das machen kann, was mich glücklich macht. In dem Moment, wo ich auf der Wiese unterwegs bin und die Kühe reinhole und ich das Gefühl habe, gut mit ihnen umzugehen und ein Teil der Herde zu sein. Ich bin bemüht, die Sprache der Kühe zu verstehen und es ist schön, mit den Tieren eine Einheit zu bilden. Und ich liebe es, draußen in der Natur unterwegs zu sein und mit meinen Händen zu arbeiten. Das alles gibt mir dann das Gefühl, ein einzelnes Teilchen von einem großen Ganzen zu sein.

Was lehrt dich dein Beruf?

Respekt im Umgang mit Tieren. Und auf jeden Fall Ehrfurcht. Es klingt für mich ganz schlimm, wenn der Mensch sich hinstellt und behauptet, er sei die Krone der Schöpfung. Im Vergleich zu der gesamten Natur können wir Menschen einen Scheiß. Alles was wir wissen, wissen wir nur, weil wir die Natur beobachtet haben. Und wenn ich meine Tiere beobachte – meinen Hund, die Katzen auf dem Hof, meine Kühe –, dann glaube ich, dass die ein Wissen in sich tragen, von dem wir gar keine Vorstellung haben. Mag sein, dass das nur eine Vorstellung ist, aber ich finde sie irgendwie schön.

Text: Julia Kottkamp
Fotos: Romy Geßner

40 Stunden - Sonja verteilt neues Stroh40 Stunden - Sonja begleitet eine Kuh aus dem Stall40 Stunden - Sonja reinigt den Stall von Kuhmist40 Stunden - Kälbchen im Stall40 Stunden - Kälbchen-Kindergarten40 Stunden - Sonja mit den Kühen auf der Weide40 Stunden - die Kühe im Stall40 Stunden - Sonja beim Anmelken40 Stunden - Sonja und ihre Kollegin beim Melken40 Stunden - die Melkanlage wird gereinigt40 Stunden

Weitere Interviews

Julia Kottkamp Gründerin und Autorin Julia Kottkamp

Julia hat Journalistik studiert und arbeitet freiberuflich als Kommunikationsberaterin und Sparringspartner in Organisationsentwicklungsprozessen. In ihrer Arbeit geht es immer um das Gespräch mit Menschen. Zuhören, verstehen und daraus Kommunikation für Klarheit entwickeln.

Mehr über Julia
Romy Geßner Fotografie Romy Geßner

Romy ist freiberufliche Fotografin und Diplom-Übersetzerin. Ihre große Leidenschaft sind Bilder von Menschen in ihrer Arbeitsumgebung. Sie steht für authentische Portrait- und Businessfotografie und sie liebt Reportagen.

Mehr über Romy
Dieses Interview ist Dir was wert? Unterstützen per PayPal

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

* Pflichtfeld