Bademeister Rainer Kettner

In dem Punkt sind die Jugendlichen von heute nicht anders als wir früher.

Bademeister Rainer Kettner
Kettner beobachtet das Becken

Rainer Kettner ist seit über 40 Jahren Bademeister. Nach eigener Aussage schwimmt er immer noch gerne, wobei seine Kollegen behaupten, es sei wohl eher eine besondere Art des Treibens. Bademeister zu sein, heißt für ihn, nicht nur aufs Wasser zu starren. Es heißt auch, Notsituation wegzustecken, die Betriebswirtschaft im Auge zu behalten und chemische Zusammenhänge bei der Chlormischung zu verstehen. Außerdem beobachtet er den gesellschaftlichen Wandel vom Beckenrand aus. Nur gut, dass sich manche Dinge nie ändern. Ein Gespräch über ein gutes Bauchgefühl, Koordinationsstörungen bei Kindern und besondere Momente im Whirlpool.

Ich habe mir überlegt, dass wir heute mal beim tiefstmöglichsten Niveau anfangen. Bereit?

Oha. Aber ok.

Ein Bademeisterwitz: Was haben ein Bademeister und ein Frauenarzt gemeinsam?

Weiß ich nicht.

Ein Leben am Beckenrand.

Äh ja, das könnte man so sagen. Stimmt. Ha, Ha. Der wirkt nach.

Ja, finde ich auch. Aber nun gut… Wenn Sie da so am Wasser stehen: Wie oft in Ihrem Leben haben Sie schon „Nicht vom Beckenrand springen!“ gebrüllt?

Eine gute Frage. Zu oft. Es hält sich einfach kaum jemand dran. Bei manchen Sachen frage ich mich einfach, wie weit die Naivität von einigen Menschen geht. Das ist dasselbe mit dem Laufen in der Halle. Die Leute begreifen es erst, wenn es weh tut. Dann wissen sie auf einem Mal, wovon wir reden. Oder eben brüllen.

Was war Ihre Motivation, Bademeister zu werden?

Der Umgang mit den Kunden und die Abwechslung.

Entschuldigung wenn ich schmunzeln muss, aber Abwechslung hatte ich nicht erwartet. Wenn ich ehrlich sein darf, kann ich mir nichts Langweiligeres vorstellen, als den ganzen Tag am Becken zu stehen und Leute zu beobachten.

Ja, das sieht so aus. Aber wenn ich vier Stunden am Stück einen Job ausführen muss, dann ist das anstrengend. Vier Stunden Konzentration, vier Stunden nicht weg können. Danach bist du platt. Es ist nicht nur der Blick aufs Becken. Es ist der Blick insgesamt. Es nutzt mir nichts, wenn das Kind über die Wiese rennt und ins Wasser fällt. Ich muss das Kind schon sehen, wenn es über die Wiese kommt. Du musst in der Lage sein, aus den Augenwinkeln heraus zu schauen und du brauchst ein gutes Bauchgefühl.

Badegäste im Wasser

Unterm Strich ist das ja ein Job, der innerhalb von Sekunden von „0“ auf 100 gehen kann. Wie gehen Sie damit um?

Das ist reine Übungssache. Wir müssen in der Lage sein, ganz schnell auf eine andere Situation umzuschalten. Mit neuen Kollegen üben wir das viel und provozieren solche Situationen.

Wie machen Sie das?

Wenn z. B. jemand das Becken bewacht, sagen wir, er soll ganz schnell in die Umkleidkabinen gehen. Der Kollege muss dann von Beckenaufsicht auf den Bereich Kabine umschalten – Schlüssel klemmt. Dieser Gedankengang – „Aha, ich war eben noch am Wasser, hab eben noch geguckt wie die Leute schwimmen und jetzt muss ich mich darauf konzentrieren, wie die Schließanlage funktioniert.“ – macht den Schulungseffekt aus.

Dennoch kommt es auch zu Unfällen. Wie oft kommt es vor, dass Sie ins Becken springen müssen und es richtig dramatisch wird?

Das ist ganz unterschiedlich. Meistens sind es Serien. Mal passiert zehn Jahre nichts und dann gibt es in einem Jahr drei bis vier Unfälle. Aber wir klassifizieren die Unfälle auch. Wenn jemand in der Mitte schwimmt und überschätzt sich oder hat einen Krampf, dann paddelt der im Wasser rum und wir fischen ihn raus. Das ist dann eine Paniksituation für denjenigen, aber er ist ansprechbar. Hin schwimmen, rausholen, hinstellen, umziehen. Aktion erledigt. Sache von fünf Minuten. Dann gibt es die Situation, dass Leute geborgen werden müssen, sprich sie sind bewusstlos und dann müssen Maßnahmen eingeleitet werden und die Rettungskette mit Notarzt usw. beginnt. Meistens muss eine solche Person nicht reanimiert werden und fängt selbstständig wieder an zu atmen. Also Atmung aktiv, stabile Seitenlage, Notarzt kommt, macht ihn fertig und gut. Und dann gibt es die krassen Situationen, wo reanimiert werden muss. Dann ist derjenige wirklich komplett weg. Aber das ist zum Glück sehr selten.

Ist es Ihnen schon mal passiert?

Ja, ich habe das schon ein paar Mal gehabt.

Wie geht man damit um? Letztendlich war es dann doch auch ein persönlicher Fehler – einmal nicht aufgepasst – der dem Unglück voraus gegangen ist, oder?

Also eine ganz krasse Situation gab es mal im Lehrbetrieb. Dann sind wir nur für das Hausrecht und für das Einleiten von Maßnahmen zuständig, nicht aber für die Aufsicht. Ein Lehrer hatte damals nicht aufgepasst und dann wurde irgendwann ein Kind am Grund entdeckt. Wir sind dann mit rein. Die Reanimation war erfolgreich. Aber das verfolgt einen. Dann, ein anderes Mal, habe ich drei Herzinfarkte erlebt. Und noch einen in der Umkleidekabine. Das war chancenlos. Es ist nicht einfach, damit umzugehen. So ein Vorfall läuft immer und immer wieder im Kopf ab. Da ist es dann gut, dass wir auf psychologische Hilfe zurück greifen können. Aber wie gesagt, solche Situationen sind höchst selten. Andere Sachen passieren öfter und sind viel erquickender.

Sie sind seit über 40 Jahren Bademeister. Kann man eigentlich einen gesellschaftlichen Wandel am und im Schwimmbecken wahrnehmen?

Die Schwimmbäder an sich haben im Laufe der Zeit eine andere Bedeutung bekommen. Früher waren die Bäder vor allem Reinigungsanstalten mit großen Wannen und Duschabteilungen, weil nach dem Krieg nicht überall Bäder in den Häusern verbaut wurden. Da waren die Schwimmbäder auch teilweise unterteilt: ein Becken für Frauen und eins für Männer. Zu den olympischen Spielen 72 in München wurden dann flächendeckend Schwimmbäder errichtet. In Hamburg sollte jeder Stadtteil ein eigenes Schwimmbad haben. Damals ging es darum, den Breitensport zu stärken. In den 80ern kamen dann die Fitnessbewegungen dazu. Aquajogging und Co. Und danach sind die Schwimmbäder dann immer größer geworden und Rutschen kamen dazu und und und. Früher blieben die Leute eine Stunde und schwammen Bahnen. Heute verbringt man den ganzen Tag im Bad und die Schwimmbäder sind zu Freizeitorten und Familientreffpunkten geworden.

Und beobachten Sie auch einen Wandel anhand der Besucher?

Ich habe das Gefühl, dass der Sozialeffekt der Schwimmbäder gerade unter älteren Menschen nicht mehr so genutzt wird. Heute gibt es zwar immer noch Senioren, die zur Frühschwimmgruppe gehen und dann Kaffee trinken, aber es wird weniger. Und die Schulklassen verändern sich, weil die Zusammensetzung aus verschiedenen Nationalitäten das so mit sich bringt. Da sind viele Kinder bei, die noch nie in ihrem Leben ein Schwimmbad gesehen haben und deshalb gar nicht schwimmen können. Die kommen aus Ländern, wo Wasser einen Goldpreis hat. Ich habe selber erlebt, wie Kinder im Freibad standen und die Dusche beobachtet haben und die waren völlig entrüstet, dass die Dusche immer gedrückt wurde und das Wasser von oben weg lief, ohne Sinn. Das war für die völlig unverständlich. Solche Kinder musst du dann erstmal ins Wasser kriegen. Das ist nicht so einfach.

Wie vielen Kindern haben Sie das Schwimmen beigebracht?

Am Anfang habe ich noch gezählt, aber in den Tausendern habe ich dann aufgehört.

Macht Sie das stolz?

Stolz? Ja, schon ein bisschen. Aber vor allem macht das Spaß – das meinte ich auch am Anfang mit der Abwechslung. In der ersten Stunde kommen die Kleinen an. Große Augen, riesen Angst. „Ich soll in das Wasser? Doof! Und dann auch noch mit dem fremden Mann? Doof, doof!“. Und nach einiger Zeit fassen sie Vertrauen und sagen: „Toll, dass du wieder da bist.“ Das ist für mich das Schöne dabei. Und dann hat man auch immer so Krisenfälle dabei. Also Kinder mit psychomotorischen Störungen. Viele kriegen Arme und Beine nicht zusammen koordiniert, um die verschiedenen Bewegungen und Abläufe auf einen Körper zu bringen. Die Kinder haben damit heute viel größere Schwierigkeiten als früher. Das ist schlimmer geworden seit wir Internet haben.

Im Ernst?

Ja, die Kinder spielen zu wenig draußen. Die sitzen drin vor den Konsolen. Wir haben früher noch Bewegungsabläufe gelernt. Baum rauf, wieder runter, auch mal runter gefallen. Das kennen manche Kinder gar nicht mehr. Und es mangelt an Kondition. Die Kinder laufen immer weniger Strecken zu Fuß. Sie werden zu oft gefahren. Der Bus muss vor der Tür halten. Zack. Da sehe ich den größten gesellschaftlichen Wandel.

Rainer Kettner in der Schaltzentrale des Schwimmbads

Was bedeutet für Sie Erfolg in Ihrem Beruf?

Ich bin stolz darauf, dass wir in Hamburg alle Bäder halten können und keins im Laufe der Zeit geschlossen werden musste. Und wenn Tage einfach gut gelaufen sind, dann freue ich mich. Bombenwetter draußen, 5.000 Leute im Bad gewesen, alle wieder heile nach Hause gegangen. Das ist super. Man muss sich einfach das Positive raus ziehen. Ich orientiere mich nicht an dem Gast, der notorischer Nörgler ist, der in seinem Job nichts zu melden hat und möglicherweise unglücklich verheiratet ist. So jemand sieht mich als Ventil. Der kommt hier her und sucht Fehler, um Frust los zu werden. Man muss lernen, sich nicht daran zu orientieren. Ich freue mich über die Alten, die morgens kommen und über die Kinder, die baden gehen und sagen, „Es war toll!“.

Was passiert eigentlich so im Schwimmbad außer das Leute baden?

Meinst du Betriebstechnik und Saubermachen und Betriebswirtschaft?

Ne, meine ich nicht.

Was dann? Die beiden neulich im Freibad?

Ich glaube die waren im Whirlpool…

Ach der Fall vor Gericht. Ja, die haben ein bisschen rumgekuschelt. Normal!

Im ernst? Das passiert?

Ja.

Und dann?

Das kommt drauf an, in welchen Extremsituationen das ist. Man muss es immer ein bisschen im Auge behalten. Hey, in dem Punkt sind die Jugendlichen von heute doch nicht anders als wir früher. Warm, dünn bekleidet. Das bringt die Materie einfach so mit sich. Wir sprechen das an – „Hey, pass auf, werd mal wieder etwas ruhiger.“ und dann ist es auch gut. Das ist für uns wirklich völlig normal.

Mir scheint, das Niveau in unserer Unterhaltung sinkt schon wieder. Da kommt mir folgende Frage: Wie oft wird eigentlich wirklich ins Wasser gepinkelt?

Fachlich richtige Antwort? Immer, weil der Kontakt zum Wasser immer eine gewisse Absonderung mit sich bringt. Aber wo du das sagst, fällt mir doch noch ein Witz ein.

Bitte…

Ein Vater fragt seinen Sohn, warum er heute aus dem Schwimmbad geflogen ist. „Weil ich ins Becken gemacht habe.“ – „Aber das machen doch eh alle.“ – „Ja“, sagt der Sohn, „aber nicht vom Dreier.“

Kontakt zu Rainer Kettner: www.baederland.de

Text: Julia Kottkamp
Fotos: Romy Geßner

Schließfächer im Schwimmbad
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In den Katakomben unter dem SchwimmbadRainer Kettner - Bademeister

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Julia Kottkamp Gründerin und Autorin Julia Kottkamp

Julia hat Journalistik studiert und arbeitet freiberuflich als Kommunikationsberaterin und Sparringspartner in Organisationsentwicklungsprozessen. In ihrer Arbeit geht es immer um das Gespräch mit Menschen. Zuhören, verstehen und daraus Kommunikation für Klarheit entwickeln.

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Romy Geßner Fotografie Romy Geßner

Romy ist freiberufliche Fotografin und Diplom-Übersetzerin. Ihre große Leidenschaft sind Bilder von Menschen in ihrer Arbeitsumgebung. Sie steht für authentische Portrait- und Businessfotografie und sie liebt Reportagen.

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3 Kommentare

  1. Schöner Bericht, schöne Fotos 🙂

    1. Danke! ?

  2. Tollet Beitrag dem Kollegen stimme ich zu 100% zu

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